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Partizipative Leitbildentwicklung: Auch ein Weg für Ihr Unternehmen?

Die Förderung der Mitarbeitenden-Beteiligung ist ein Konzept, das in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Demokratische Ansätze in Unternehmen tragen zur Schaffung einer offenen und partizipativen Unternehmenskultur bei, was sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Organisation selbst Vorteile bieten kann. Einen Leitbildprozess unter Beteiligung aller Mitarbeitenden zu gestalten, stellt je nach Unternehmensgröße eine gewisse Herausforderung dar. Wie kann es gelingen, ernsthafte Auseinandersetzung zwischen vielen Mitarbeitenden zu fördern und gleichzeitig zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen?

Um die Frage zu beatworten wird in diesem Newsletter beispielhaft ein Leitbildentwicklungs-Prozess dargestellt, den die ALEA GmbH für eine Organisation mit ca. 300 Mitarbeitenden über ein Jahr hinweg gestalten und begleiten konnte.

Wie fängt man an?

In der Auftragsklärung mit den Vertreter:innen des Kunden und den Prozessbegleiter:innen wurden die Ziele und der Rahmen definiert und geplant sowie die Umsetzungsmöglichkeiten angestimmt.

Das Interesse der Führungskräfte in der Organisation war es, gemeinsam mit allen Mitarbeitenden ein Leitbild zu entwickeln, welches die Mission der Organisation verdeutlicht. Der Prozess sollte Antworten geben auf die Fragen:

  • Wer sind wir?
  • Was machen wir?
  • Warum machen wir das?
  • Und wie machen wir es?

Darüber hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, alle Mitarbeitenden mit ihren Wahrnehmungen und Ideen einzubeziehen, sie sprechen zu lassen, ihnen zuzuhören und sie Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu lassen. Die Identifikation mit dem fertigen Leitbild und dadurch natürlich auch mit der Organisation sollte damit nachhaltig unterstützt werden.

Zentrale Aspekte eines partizipativen Leitbilds?

Ein Leitbild ist natürlich kein Qualitätsmanagementhandbuch. Die Sätze eines Leitbildes sind allgemeingültiger und abstrakt. Damit bringen sie die grundsätzlichen Vorstellungen zum Ausdruck, die Antworten auf die oben genannten Fragen geben. Es besteht das Ziel, allen Mitarbeitenden eine Orientierung für das konkrete Handeln im Alltag zu geben, um die angestrebten Ziele und Handlungen auf ein realistisches Idealbild hin zu orientieren. Diese integrierende Kraft kann ein Leitbild nur entfalten, wenn in dem Entstehungsprozess alle Mitarbeitenden eingebunden werden und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, an der Entwicklung des Leitbildes mit zu wirken (Ermächtigung). Der Prozess einer partizipativen Leitbildentwicklung kann wie eine Pause im Arbeitsalltag wirken, in der man sich gemeinsam die Zeit zur Vergewisserung über die grundlegenden Werte und über die verbindenden Momente in der Arbeit nimmt. Ein Leitbild-Prozess, der auf Beteiligung setzt, schafft insofern Räume zum Nachdenken über den aktuellen Alltag, aber auch über die Geschichte der Organisation und deren Zukunft. Er erzeugt so ein Committment zu gemeinsamen Vorstellungen, bietet Stabilität und Orientierung und fördert die Identifikation mit dem Unternehmen.

Fünf Schritte zur Erarbeitung eines partizipativen Leitbildes

Die hier beispielhaft ausgewählte Organisation beabsichtigte, nach diversen internen Veränderungsprozessen einen Neustart für die gesamte Organisation zu initiieren. Das Design des über ein Jahr laufenden Gesamtprozesses wird im Folgenden vorgestellt.

  1. Vorbereitung und Steuerung

Von der Geschäftsführung wurde ein Motivations- und Erläuterungsschreiben an alle Mitarbeitenden geschickt, um sie von Anfang an über den Prozess zu informieren. Vor allem sollte die Ernsthaftigkeit der Maßnahme unterstrichen werden und deutlich gemacht werden, dass die Ansichten von allen Mitarbeitenden wichtig sind.

Information: In der Organisation wurde eine Projektverantwortliche als Ansprechpartnerin für den Gesamtprozess beauftragt. In den folgenden vier Wochen suchte sie alle Abteilungen auf und beantwortete Fragen zum Prozess.

Steuerung: Im Laufe dieser Gespräche wurde der Steuerkreis aus Freiwilligen, insgesammt 24 Personen, gebildet. Es war wichtig, dass alle Abteilungen und Bereiche der Organisation in dem Kreis vertreten waren.

In einem ersten Treffen des Kreises wurden die Mitglieder über ihre Aufgaben und über das Ziel des Prozesses informiert. Eine wesentliche Aufgabe der Mitglieder war es, die Transparenz in die Teams herzustellen. Das bedeutete Informationen aus dem Kreis an die Teams zu übermitteln, aber vor allem auch Hinweise und Anregungen aus den Teams wieder zurück in den Steuerkreis zu tragen. Darüber hinaus wurden gemeinsame Teamregeln für die Kommunikation erarbeitet.

Im kurz darauffolgenden zweiten Treffen des Steuerkreises wurde gemeinsam ein Fragebogen formuliert, der allen Mitarbeitenden zugehen sollte. Der Bogen diente der inneren Einstimmung auf die Themen des Prozesses und war vor allem für die eigene Reflexion und gedankliche Vorbereitung gedacht.

Geklärt wurde zudem, dass über einen Newsletter und Informationen im Intranet alle Mitarbeitende über den Prozess informiert werden sollten.

Erfreulicherweise waren die Mitglieder des Steuerkreises überaus motiviert und interessiert. Die geführten Diskussionen waren humorvoll und anregend.

  1. Workshop

Nach dieser Vorarbeit folgte ein eintägiger Workshop mit allen Mitarbeitenden. Das Ziel der Veranstaltung war es, Motivation und Freude an dem Prozess zu erzeugen, aber auch Ergebnisse zu liefern, die im Anschluss die Grundlage für die Feinarbeit im Steuerkreis sein sollten. Mit kreativen Methoden, Moderation, lebendigen Aktivitäten, gutem Austausch, wechselnden Gruppenaktionen wurden beeindruckende Ergebnisse erzielt.

Erfreulicherweise wurde im Anschluss lange über diesen Tag in der Organisation geredet. Die Mitarbeitenden erinnerten sich an lustige Momente, sie genossen den Austausch mit Personen, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatten. Viele hatten sich (neu) Kennengelernt und das „Wir“ in der Organisation gespürt. Vor allem wurde hier schon deutlich, dass es eine tragende intuitive Vorstellung über den gemeinsamen Kern der Organisation gibt. Der Tag vermittelte so Zuversicht, zu konstruktiven Ergebnissen am Ende des Prozesses zu kommen.

  1. Formulierung des Leitbildes

Nun kamen wir zum zentralen Kern der Leitbildformulierung. In diesem Schritt wurden die Ergebnisse des Workshops übersichtlich dargestellt und in einer weiteren Sitzung des Steuerkreises präsentiert. Es war herausfordernd, die komplexen, vielschichtigen und differenzierten Ergebnisse des Workshoptages auf ein handhabbares Maß zu clustern.

Die folgenden neun Steuerkreistreffen und die Zeit dazwischen verlief in den folgenden Monaten immer nach demselben Prinzip ab:

  • Im Steuerkreis wurde sich mit einem Cluster beschäftigt und ein Satz für das Leitbild formuliert. Kleingruppen machten dazu zunächst unterschiedliche Vorschläge und im Plenum fand eine Einigung auf eine Formulierung statt, Kontroversen wurden markiert.
  • Die jeweiligen Sätze wurden im Newsletter und in den Teamsitzungen den Mitarbeitenden zur Diskussion vorgelegt.
  • In der darauffolgenden Sitzung des Steuerkreises berichteten alle aus ihren Arbeitsbereichen und Teams. Anregungen wurden diskutiert und gegebenenfalls eingearbeitet. So entstand eine Endfassung und das nächste Cluster wurde in Angriff genommen.
  • Nachdem alle Sätze formuliert waren, wurde in einer Extrasitzung die Reihenfolge und das Gesamtkonstrukt überdacht, abgestimmt und geändert. Auch diese Ergebnisse wurden wieder in den Teams besprochen und die Rückmeldungen eingearbeitet.
  • Das Vorwort wurde zwischen zwei Sitzungen von einer Kleingruppe erstellt und ebenfalls mit allen Beteiligten abgestimmt.
  • Abschließend wurde mit Hilfe von Designern das Gesamtergebnis in eine ansprechende Form gebracht und mit Icons versehen, die ebenfalls allen zur Zustimmung vorgelegt wurden.
  1. Feierliche Präsentation

Das Leitbild in seiner abschließenden Form wurde bei einer gemeinsamen Feier im Rahmen einer internen Tagung präsentiert und gewürdigt. Insbesondere das Engagement der Mitarbeitenden wurde nicht nur von den Führungskräften, sondern vor allem Wechselseitig in Gesprächen zum Ausdruck gebracht. Die gesamte Belegschaft war sehr stolz auf das Ergebnis und die Arbeit aller, aber insbesondere auf die Tätigkeit des Steuerkreises.

  1. Nacharbeiten

Den Mitarbeitenden war es wichtig, dass das Leitbild den Kundengruppen angemessen „übersetzt“ wird. Zum einen war es notwendig eine Transformation in unterschiedliche Sprachen herbeizuführen. Auch Inklusion und Barrierefreiheit bei Texten der Organisation wurde angestrebt, sodass das Leitbild auch in „Einfache Sprache“ übersetzt wurde.

Es wurde weiter vereinbart, jährlich eine Veranstaltung zu planen, auf der mit allen Mitarbeitenden kritisch auf die Umsetzung des Leitbilds in der alltäglichen Arbeit der Organisation geschaut wird.

Darüber hinaus sollte ein moderierter regelmäßiger Austausch unter den Führungskräften zur Umsetzung des Leitbildes im Alltag stattfinden.

Aus unserer Sicht stellte dieser Prozess eine gelungene Umsetzung von Beteiligungsideen dar, in der jede Person ernst genommen wurde, Hierarchien bedeutungslos waren und am Ende ein Ergebnis präsentiert wurde, welches Substanz, Biss und Energie hat. Mit George Bernhard Shaw kann man abschließend sagen: „Die besten Reformer, die die Welt je gesehen hat, sind die, die bei sich selbst anfangen.“ Und genau so wird die hier erwähnte Organisation nun vorgehen wollen.

 

Monika Eckern

Wenn das Büro leer bleibt … Hybrides Arbeiten und organisationale Bindung

Wenn ein bedeutender Teil der Mitarbeitenden ortsungebunden, d.h. von zuhause, vom weiter entfernten Zweitwohnsitz oder von unterwegs arbeitet, dann stellt das alle Beteiligten vor zusätzliche Herausforderungen: Hybrides Arbeiten zeigt Wirkung auf das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie die Leistungsfähigkeit und hat damit auch Folgen für die Innovationsfähigkeit und die Unternehmenskultur.

Gleichzeitig ist das hybride Arbeitsmodell nicht mehr aus der Realität wegzudenken, auch wenn es noch keineswegs ein schlüssiges und nachhaltig gestaltetes Arbeitskonzept darstellt. Ob sich die Idee als ein tragfähiges Konzept entwickeln kann, hängt sicherlich auch davon ab, inwiefern Unternehmen in der Lage sind, den derzeitigen Change zu einer hybriden Arbeitswelt zu bewältigen.

Bereits im vergangenen Sommer hat die Debatte in Technologiekonzernen die Unterschiedlichkeit an Reaktionen auf hybrides Arbeiten deutlich gemacht: Elon Musk (Tesla) forderte, das alle Mitarbeitenden (mind.) 40h/Woche im Büro präsent sein müssen. Auf der anderen Seite räumte der damalige CEO von Twitter Parag Agrawal seinen Beschäftigten die volle Wahlfreiheit in Bezug auf ihren Arbeitsort ein.

Nach dem Ende der pandemiebedingten Homeoffice-Pflicht hätten theoretisch alle Unternehmen und Organisationen ihre Mitarbeitenden wieder zurück ins Büro bestellen können. Allerdings wurden im Verlauf der Pandemie teilweise Vereinbarungen erstellt, die Arbeitnehmenden eine flexible Arbeitsgestaltung ermöglichen, sofern es die Arbeitsaufgaben erlauben.

Fachkräftemangel und Wettbewerb mit Familiensystemen

In vielen Organisationen haben Mitarbeitende die durch die Corona-Pandemie entstandenen neuen Möglichkeiten zum ortsungebundenen Arbeiten für sich genutzt und sind nun weniger bereit, regelmäßig oder überhaupt, physisch ins Büro zurückzukehren. Das Mehr an Lebenszeit und Lebensqualität durch reduzierte Arbeitswege und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben zu einer Aufwertung des Familiensystems geführt. Wenn nun Unternehmen ihre Mitarbeitenden wieder ins Büro zurückbestellen, treten zwei soziale Systeme in einen Wettbewerb, wobei Familiensysteme in aller Regel die stärkeren Bindungskräfte entfalten können. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels sind Unternehmen und Organisationen darauf angewiesen, diesen ungleichen Wettbewerb mit Zugeständnissen auszugleichen.

Folglich werden sich Unternehmen aus Rücksicht auf ihre Beschäftigten gut überlegen, die Anwesenheit einzufordern oder verbindlich zu regeln. Welche Konsequenzen können sich daraus ergeben?

Teamzusammenhalt und organisationales Commitment

Wer remote arbeitet, ist stärker auf eine formale Kommunikation reduziert und bekommt weniger vom Flurfunk und sozialen Interaktionen, aber auch von vielen fachlich benachbarten Kontexten mit. Körperliche Präsenz und Nähe stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und stärken in aller Regel die organisationale Bindung. Umgekehrt bekommen remote Arbeitende hin und wieder mit, dass im Büro soziale Interaktionen stattfanden, bei denen sie ausgeschlossen waren. Der zunehmende virtuelle Austausch an Informationen kann zu einer Vernachlässigung der Beziehungsebene führen, was den Aufbau von Vertrauen erschwert und Konflikte schwerer erkennbar macht. Folglich entsteht leicht eine angespannte Atmosphäre und die Konflikte eskalieren.

Bei einer zu hohen individuellen Flexibilität für hybrides Arbeiten, können die Vorteile des Arbeitens im Büro gar nicht mehr erfahren werden, weil u.U. alle an einem anderen Tag im Büro sind und sich daher informelle Begegnungen und nicht geplante Austauschmöglichkeiten kaum ergeben. Der Aufwand, extra ins Büro zu fahren, erscheint somit sinnlos.

Komplexe Aufgaben erfordern stärkere Präsenz der Mitarbeitenden

Aufgrund von höherer Konzentration und geringeren Ablenkungen und Störungen im Homeoffice, wird häufig eine höhere Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Anforderungen abgeleitet. Allerdings bedarf es in dieser Hinsicht einer stärkeren Differenzierung. Mitarbeitende in Teams, die die anfallenden Tätigkeiten u.a. nach zeitlichen Ressourcen und nach fachlichen Kompetenzen aufteilen, benötigen weniger Abstimmung in Bezug auf die laufenden Arbeitsprozesse. Sie können sicherlich den Vorteil der besseren Konzentrationsleistung und der Flexibilität in eine höhere Leistungsfähigkeit umsetzen.

Steigen die Aufgaben in ihrer Komplexität, zu deren Bewältigung Teammitarbeitende tatsächlich zusammenarbeiten müssen, ist ein hoher Grad an virtueller Zusammenarbeit im Team eher nachteilig für die Effektivität. Ein gemeinsam geteiltes Verständnis der Aufgabe, die fortwährende Abstimmung von Teilergebnissen und die Reflektion des Teamprozesses sind erschwert oder zumindest verlangsamt und schränken die erhöhte Leistungsfähigkeit ein.

Fünf Perspektiven für ein hybrides Arbeitsmodell

Das ortsungebundene Arbeiten ist seit der Pandemie nicht mehr aus der Arbeitswelt wegzudenken. Und gleichzeitig muss es gestaltet werden, damit die negativen Entwicklungen wie Abnahme des Zusammengehörigkeitsgefühls, der organisationalen Bindung, des Vertrauens sowie Erhöhung des Konfliktpotentials nicht zu virulent werden. Was können Sie tun?

  1. Die Sensibilisierung für das Thema hybrides Arbeiten sollte gestärkt werden. Es ist offenzulegen und anzuerkennen, dass es prinzipielle Unterschiede zwischen den Mitarbeitenden gibt und dass dies eine Wirkung haben wird. Wichtig ist, dass die Unterschiedlichkeit und deren Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung, die Qualität der Zusammenarbeit und dem Unternehmensziel im Austausch mit allen immer wieder reflektiert wird.
  2. Führungskräfte sind bei der Gestaltung hybrider Arbeitsmodelle in besonderer Weise gefordert. Sie müssen die Arbeitsbeziehungen auf Team- und Abteilungsebene aktiv gestalten: z.B. informelle Austauschmöglichkeiten schaffen, Präsenztage explizit zur Kontaktpflege nutzen und Partizipation virtuell organisieren und mit geeigneten Moderationsmethoden unterstützen.
  3. Es kommt auf die richtige Balance aus Remote und Präsenz an. Personaler und Führungskräfte sind gefordert: Die Herausforderungen von dynamischen Umwelten und dynamischen Situationen werden keine Patentrezepte oder best-practice-Modelle Fallorientiert und im Sinne agiler Vorgehensweisen müssen hingegen Veränderungen in der Praxis getestet und anhand des Feedbacks aus der Praxis weiterentwickelt werden. Teams mit hoher Interdependenz in der Aufgabenbewältigung benötigen sicherlich mehr face-to-face-Kontakt als Teams mit einer stärkeren additiven Aufgabenteilung.
  4. Das Onboarding von Mitarbeitenden im virtuellen Raum stellt eine weitere Herausforderung dar. Es bedarf einer gelingenden Mischung aus direktem und wechselndem Kontakt, um die Unternehmenskultur wahrzunehmen und in sie hineinzuwachsen.
    Gleichzeitig sollte es regelmäßige Präsenztermine im Büro für alle Mitarbeitenden geben, um das Onboarding zu erleichtern und, um allen ausreichend informellen Raum und Zeit für die Beziehungsebene und den Kontakt untereinander zu ermöglichen.
  5. Die räumliche und technische Infrastruktur muss eine möglichst hohe Flexibilität zulassen, die sowohl eigene, feste Arbeitsplätze wie auch desk-sharing Den individuellen Arbeitsbedürfnissen und Arbeitsaufgaben entsprechend, bedarf es einer Landschaft, die sowohl konzentriertes individuelles Arbeiten wie auch Kollaborationen, Austausch und informelle Begegnung ermöglichen.

 

 

Martin Lindner

Gesund durch den Berufsalltag, Teil 2

Stressabbau durch Achtsamkeit

Im ersten Teil des Newsletters hatten wir hergeleitet, warum das Konzept der Achtsamkeit unterstützend für die Entwicklung von mehr Resilienz und Gesundheit im Berufsleben sein könnte. Heute möchten wir Ihnen die Idee der Achtsamkeit kurz erläutern und ein paar kleine Übungen anschließen.

Entwickelt hat das Konzept der Achtsamkeit der 1944 geborene Professor für Medizin und Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn. Er konzentrierte sich in seiner Forschung auf die heilsame Wirkung unterschiedlicher Meditations- und Entspannungstechniken. Als Trainingsprogramm für den Geist verbindet er meditative Übungen in Ruhe und Bewegung mit Ansätzen aus der modernen Psychologie und Stressforschung. Bereits 1979 gründete er die renommierte Stress Reduction Clinic. Dort entwickelte er sein heute weltweit etabliertes Programm der Mindfulness-Based Stress Reduction – kurz MBSR. In diesem achtwöchigen Programm geht es um das Erlernen unterschiedlichster Techniken zur bewussten Lenkung der Aufmerksamkeit. Die Wirkung dieser Methoden ist mittlerweile in zahlreichen Studien nachgewiesen für:

  • die Steigerung der Aufmerksamkeitsregulation,
  • die Vertiefung des Körper-Gewahrseins und damit eine Verbesserung des eigenen gesundheitsfördernden Verhaltens,
  • die Wahrnehmung der Gedanken, Grübeleien und Ängste und gleichzeitig ein besserer Umgang damit und die präventive Wirkung u.a. für Depressionen,
  • die Veränderung im Umgang mit Gefühlen, besonders mit schwierigen Gefühlen.
  • Effekte auf die Hirnaktivität sowie die Hirnstruktur in acht Regionen darunter die Emotionsregulation und die Selbstregulation.

Was genau ist unter Achtsamkeit zu verstehen?

Zur Erklärung möchte ich ein Zitat von Jon Kabat-Zinn heranziehen:

„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Diese Art der Aufmerksamkeit steigert das Gewahrsein und fördert die Klarheit, sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren. Sie macht uns die Tatsache bewusst, dass unser Leben aus einer Folge von Augenblicken besteht. Wenn wir in vielen dieser Augenblicke nicht völlig gegenwärtig sind, so übersehen wir nicht nur das, was in unserem Leben am wertvollsten ist, sondern wir erkennen auch nicht den Reichtum und die Tiefe unserer Möglichkeiten zu wachsen und uns zu verändern.“

Mit anderen Worten bedeutet das: Wirksam für einen gesunden Umgang mit Stress ist es, wenn automatisch ablaufende, dysfunktionale Reiz-Reaktionsmuster unterbrochen werden. Wir reagieren nicht länger wie der Pawlowsche Hund, der beim Läuten des Glöckchens in Erwartung des Essens anfing zu speicheln. Routine-Reaktionen werden durch Achtsamkeitsübungen zunehmend durch bewusstes, präsentes Handeln ersetzt. Die Sensibilität für die Anfänge von stressigen Situationen erhöht sich. Wenn wir bemerken, dass wir feinfühliger werden, ist das der entscheidende Schritt zur Achtsamkeit. Die Lücke zwischen Reiz und Reaktion ist dadurch schon etwas vergrößert und wir gewinnen Freiheit zurück.

Wenn es dann sogar möglich wird, durch das differenziertere Wahrnehmen der unterschiedlichen emotionalen, mentalen und körperlichen Effekte, eine bewusste Entscheidung zum Umgang mit der Situation zu treffen, ist es uns gelungen noch etwas mehr aus der Routine auszusteigen. Vielleicht erkennen wir, dass eine Reaktion nicht nötig ist, vielleicht probieren wir eine ungewohnte Handlung aus.

 

 

 

Achtsamkeit am Arbeitsplatz

Achtsamkeit will geübt sein. Es handelt sich um eine Praxis, die am besten regelmäßig Eingang in den Alltag finden sollte und damit tatsächlich das Leben ändert. Wichtig sind zwei Grundüberlegungen:

  1. Sich selbst ändern benötigt Zeit. Wenn Sie sich entscheiden, die ein oder andere Übung auszuprobieren, dann bleiben sie mindestens 2 Monate dran. Der ursprüngliche Achtsamkeitskurs ist deshalb für 8 Wochen konzipiert, weil es in der Regel so lange dauert, bis wir Alltagsroutinen verändert haben.
  2. Egal wie kurz eine Übung ist: Führen Sie sie durch. Besser kleine Änderungen als keine. Allerdings ist zu bedenken, dass auch unser Körper Zeit benötigt, die Stressabbauprodukte zu verstoffwechseln. Deshalb ist es sinnvoll, immer mal wieder Übungen einzubauen, die 20 – 30 Minuten in Anspruch nehmen, denn so lange dauert die Verarbeitung der Stressabbauprodukte im Körper.

Und nun zu den Übungen

  1. Geben Sie doch mal den Begriff Body Scan im Internet ein oder nutzen Sie diesen link. Es handelt sich bei der Übung, die Sie unter dem Namen finden, um den Klassiker des Sie finden sicher eine YouTube Stimme, die Ihnen zusagt und sie bei ihrem Start in die Achtsamkeitspraxis begleitet. Im Idealfall führen sie die Übung täglich durch. Am einfachsten gelingt die Umsetzung, wenn Sie sich eine Stelle am Tag aussuchen, wo die Übung automatisch hinpasst, wie das Zähneputzen in die Morgenroutine.
  1. Der zweite Klassiker ist die Drei – Minuten – Übung.
  1. Hier ein möglicher Ablauf für den Arbeitsalltag:
  • Wenn Sie Ihren Arbeitsweg beginnen, nehmen Sie sich eine Minute Zeit, um auf den Atem zu achten.
  • Auf dem Weg zur Arbeit, im Auto etwa, nehmen Sie die Spannungen im Körper wahr, z.B. verkrampfte Hände am Lenkrad, hochgezogene Schultern, angespannter Magen etc. Erlauben Sie sich, diese Spannungen zu lösen. Macht Sie das Angespannt-Sein zu einem besseren Fahrer oder einer besseren Fahrerin? Wie fühlt es sich an, entspannt zur Arbeit zu fahren?
  • Wenn Sie zu einer roten Ampel kommen, nutzen Sie die Zeit, um den Atem wahrzunehmen, ebenso die Bäume, den Himmel oder Ihre Gedanken in diesem Moment.
  • Wenn Sie am Arbeitsplatz angekommen sind, nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um wirklich anzukommen.
  • Werden Sie sich am Arbeitsplatz immer wieder den körperlichen Wahrnehmungen bewusst und entlassen Sie unnötige Anspannung.
  • Entscheiden Sie sich, jede Stunde einen „Stopp“ von 1-3 Minuten einzulegen, während dessen Sie sich Ihres Atems und Ihrer Körperwahrnehmungen bewusstwerden.
  • Versuchen Sie am Ende des Arbeitstages kurz Rückschau zu halten. Beglückwünschen Sie sich zu der getanen Arbeit und machen Sie eine Liste für den nächsten Tag. Für heute haben Sie genug getan!
  • Nehmen Sie sich auf dem Nachhauseweg einen Moment Zeit, um bewusst den Wechsel von der Arbeit zu Ihrem Zuhause zu vollziehen. Nutzen Sie den Moment, um einfach nur zu sein. Wie die meisten Menschen sind Sie dabei, sich in Ihre nächste Vollzeitbeschäftigung zu begeben – Ihr Zuhause.
  • Wenn Sie Auto fahren, bemerken Sie, wann Sie anfangen, zu schnell zu fahren. Könnten Sie etwas daran ändern? Werden Sie sich bewusst, dass Sie über mehr Kontrolle verfügen, als Sie glauben.
  • Wenn Sie zuhause angekommen sind, nehmen Sie sich einen Augenblick, um sich bewusst auf das Zuhause-sein einzustimmen.
  • Legen Sie zuhause die Arbeitskleidung ab. Wenn möglich, schaffen sie sich 5-10 Minuten, um still und ruhig zu sein. Wenn Sie allein leben, nehmen Sie die Stille Ihrer Wohnung wahr und das Gefühl in deine Umgebung einzutreten.

Viel Erfolg, Freude und spannende neue Erfahrungen wünschen wir Ihnen beim Üben der Methoden, die hier angesprochen wurden. Vielleicht dehnen Sie Ihr Training etwas aus, wenn Sie hineingefunden haben.

Quellen

Santorelli, Saki (1999). Zerbrochen und doch ganz. Arbor Verlag

Kabat-Zinn, Jon (2006). Im Alltag Ruhe finden. Herder Spektrum.

Kabat-Zinn, Jon (2006). Zur Besinnung kommen. Arbor Verlag.

 

 

Monika Eckern

Gesund durch den Berufsalltag

In diesem und dem folgenden Newsletter möchten wir Ihnen gerne einige Gedanken zum Thema Gesundheit, Resilienz, Stress und Achtsamkeit vorstellen. Diese Themenbereiche sind seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus der Unternehmen gerückt. Zudem haben die Coronajahre und die angespannte Weltlage die Belastungen der Mitarbeitenden drastisch verschärft und wirken sich unmittelbar auf deren Gesundheit aus. Insofern verschärft sich ebenfalls der Handlungsdruck.

Die Gesundheit der Mitarbeitenden in Zahlen

Die jährlich erscheinenden Gesundheitsreporte der Krankenkassen sprechen eine eindeutige Sprache. Hier eine kurze Zusammenfassung der Tendenzen:

2022 lag der Krankenstand mit 5,5 Prozent um 1,5 Punkte über dem Vorjahresniveau. Das ist der höchste Wert, den die DAK-Gesundheit für ihre 2,4 Millionen erwerbstätigen Versicherten seit dem Start der Analysen im Jahr 1997 gemessen hat. Im Durchschnitt fehlten die Beschäftigten fast zwanzig Tage mit einer Krankschreibung im Job. Das ist ein Anstieg von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Verantwortlich für das starke Plus sind vor allem die Atemwegserkrankungen, die um 172 Prozent zugelegt haben. Konkret sind das 398 Fehltage je 100 Versicherte. Bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen verzeichnet die Analyse einen leichten Anstieg um 5 Prozent. Rückenschmerzen und vergleichbare Probleme verursachten 354 Fehltage je 100 Versicherte (Vorjahr: 337 Tage).

Bei den psychischen Erkrankungen gab es mit 301 Fehltagen je 100 Versicherte ebenfalls einen neuen Höchststand. Diese Zahl ist mehr als 40% höher als vor 10 Jahren. Die mit Abstand höchste Steigerungsrate haben dabei Frauen zwischen 55 und 59 Jahren mit 511 Fehltagen. Der mit Abstand häufigste Grund für eine Krankschreibung war die Depression und den größten Zuwachs gab es bei den sogenannten Anpassungs- und Angststörungen.

Psychische Erkrankung

 

 

 

Stress bleibt ein Treiber für Unwohlsein

Auch wenn in den dargestellten Zahlen die psychischen Erkrankungen auf dem dritten Platz stehen, gibt es gute Gründe dafür anzunehmen, dass einige körperliche Erkrankungen in Zusammenhang mit psychischen Ursachen, insbesondere Stress stehen. Darüber gibt die „Stressstudie 2021“ der Techniker Krankenkasse Auskunft. Laut dieser Studie geben mehr Personen als in Vorgängeruntersuchungen an, häufig gestresst zu sein. Die Pandemie hat diesen Effekt insbesondere für Haushalte mit Kindern verstärkt.

Die größten Stressfaktoren sind die Arbeitsmenge, der Termindruck, Unterbrechungen, Informationsflut und schlechte Arbeitsplatzbedingungen. Die dramatische Unterbesetzung durch Fehlzeiten und Fachkräftemangel – insbesondere im Gesundheitswesen – ist ein erheblicher Stressfaktor.

Häufig Gestresste leiden – verglichen mit selten Gestressten – deutlich öfter unter Erschöpfung (80 Prozent versus 13 Prozent), Schlafstörungen (52 versus 28), Kopfschmerzen und Migräne (40 versus 13) und Niedergeschlagenheit bzw. Depressionen (34 versus 7). Aber auch Rücken und Magenbeschwerden sind häufig vertreten.

Ein Blick in die Zukunft

Es ist sicher interessant rechtzeitig auf Herausforderungen vorbereitet zu sein, die junge Menschen mitbringen, wenn sie in einigen Jahren in den Arbeitsmarkt kommen. Schauen wir deshalb in den Kinder- und Jugendreport der DAK von 2022 und werfen damit einen Blick auf die Auszubildenden der Zukunft. Es wird deutlich, dass auch hier Handlungsbedarf besteht. In dem genannten Bericht wurden 800.000 Kinder und Jugendliche im Alter bis 17 Jahren untersucht, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Der Report basiert damit auf Daten von 5,7 % aller Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik. Die Zusammenfassung eines Teils der Ergebnisse sieht folgendermaßen aus:

  • 54 % mehr neu diagnostizierte Essstörungen bei Mädchen (15-17 Jahre)
  • 23 % mehr neu diagnostizierte Depressionen bei Mädchen (10-14 Jahre)
  • 24 % mehr neu diagnostizierte Angststörungen bei Mädchen (15-17 Jahre)
  • 15 % mehr neu diagnostizierte Adipositas-Fälle bei Jungen (15-17 Jahre)

Andreas Storm, der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit sagt dazu: „Die neuen Daten zeigen bei Depressionen, Ängsten und Essstörungen eine dramatische Entwicklung. Wir dürfen die betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern mit den Problemen nicht allein lassen. In einer konzertierten Aktion müssen Politik sowie Expertinnen und Experten aus allen beteiligten Bereichen (…) Sofortprogramme und Hilfsangebote starten. Wichtig sind (…) die Aufrechterhaltung von Halt gebenden Alltagsstrukturen, wie beispielsweise Sportvereinen und Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Kinder brauchen einen sicheren Raum, um sich selbstbestimmt und gesund zu entwickeln.“

Werden die jungen Menschen mit einer ausreichenden persönlichen Stabilität und Belastbarkeit in die Ausbildung kommen? Davon ist nicht unbedingt auszugehen. Wahrscheinlich wird es auch in den Betrieben notwendig sein, sich darüber Gedanken zu machen, wie Orientierung und individuelle Stärkung gelingen können.

Individuelle Selbstoptimierung reicht nicht aus

Zwei Aspekte in dem oben genannten Zitat möchte ich herausheben und die Herausforderungen für Unternehmen unterstreichen. Zum einen ist eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Gesellschaft aber auch von den Betrieben notwendig, um eine Zukunft zu gestalten, in der Menschen gerne einer sinnstiftenden und herausfordernden Arbeit nachgehen, sich mit Ihren Ressourcen einbringen und dabei gesund bleiben.

Der zweite Aspekt, der zu betonen ist, ist der Halt und die Sicherheit, die nicht nur junge Menschen benötigen, sondern ebenso Mitarbeitende in Betrieben. Die Verbundenheit miteinander ist die Basis einer resilienten Organisation. Dabei geht es schlicht gesagt um die Förderung des „Wir-Gefühls“. Entsprechend der Forschung des Soziologen Hartmut Rosa sollten Mitarbeitende dabei unterstützt werden, sich wieder neu als soziales Wesen zu begreifen und in eine emotionale Resonanz mit der Welt, der Organisation und dem Team zu treten. Das Gefühl von Verbundenheit führt zu Vertrauen, Selbstwirksamkeit, Optimismus, und persönlicher Resilienz. Nur vor diesem Hintergrund können sich Mitarbeitende gesund auf Veränderungen einlassen. Das bedeutet aber auch, dass Gesundheit keine ausschließliche Aufgabe des Individuums im Rahmen seiner persönlichen Selbstoptimierung ist. Gesundheitsförderung ist immer eine Aufgabe der Gestaltung der Unternehmens- und der Teamkultur, der Arbeitsstrukturen und insofern Führungsverantwortung.

Ein bewährter Weg um in einen sozialeren, solidarischeren, kreativeren und gesünderen Kontakt mit sich selbst und der Umwelt zu kommen, ist die Achtsamkeit. Vielleicht ein Begriff, der Ihnen als Worthülse oder neue „Sau, die durchs Dorf getrieben wird“, vorkommt. Umso wichtiger, mal genauer darauf zu schauen, was sich hinter diesem Konzept verbirgt.

Das können Sie in zweiten Teil dieses Newsletters nachlesen.

(Hybride) Teams stärken

Vertrauen und persönlicher Kontakt als Garant für erfolgreiche Zusammenarbeit

 

Die Transformation zu einer hybriden Arbeitswelt ist in vollem Gange. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung stark beschleunigt und das hybride Arbeiten am eigenen Platz im Homeoffice und an shared spaces im Büro zum new normal festgesetzt. Die coronabedingte Pflicht zum Homeoffice ist nicht überall auf Begeisterung gestoßen. Sowohl Unternehmensinhaber:innen, wie auch Führungskräfte und Beschäftigte ohne Führungsaufgabe waren zum Teil verunsichert und betrachteten vorsichtig die Entwicklungen hin zu einer neuen Arbeitswelt. Und dabei sind Arbeitnehmende und Arbeitgebende häufig geteilter Meinung.

Die Arbeitnehmenden begrüßen häufig die flexiblen Arbeitsmodelle und ihre Vorteile und lehnen eine Rückkehr zur reinen Büroarbeit ab. Konsequenterweise verändert sich damit auch das Verhältnis der Beschäftigten zu ihrem Arbeitsplatz. Der Microsoft Work Trend Index von 2022 scheint diese Entwicklung zu belegen: 38% aller in Deutschland Beschäftigten (weltweit sind es sogar 53%) legen neue Maßstäbe an ihren Job an. Die Bedeutung des „wie, wo und wann“-Arbeitens hat enorm zugenommen. Laut einer Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln vom Januar 2022 möchte fast die Hälfte aller Befragten auch in Zukunft gern von zu Hause arbeiten. Dies deute, so die Forschungsergebnisse, auf eine „hohe Zufriedenheit und Offenheit gegenüber dem Homeoffice“ bzw. gegenüber flexiblen Arbeitsformen hin.

Gleichzeitig sehnen sich nicht nur Führungskräfte nach dem Büroalltag des Jahres 2019: Überall wird geplaudert, der Kaffee fließt in Strömen, Kolleg:innen treffen sich auf den Fluren und in der Kantine. Der Teamzusammenhalt und der persönliche Kontakt untereinander haben nachgelassen. Das persönliche Gespräch und auch der unmittelbare fachliche Austausch werden vermisst.

Vertrauen und Empathie – ein Mindset für eine gelingende Teamkultur

Eine hybride Arbeitswelt benötigt eine Abteilungs- und Teamkultur, die die Bereitschaft fördert, Arbeitsweisen neu zu gestalten und dabei die zwischenmenschliche Ebene nicht vernachlässigt. Insbesondere das Gespräch unter den Mitarbeitenden muss vor dem Hintergrund reduzierter Kontaktmöglichkeiten gefördert werden. Digitale tools und effektive Online-meetings stellen nur eine Seite der Lösung für die Herausforderung dar. Menschen brauchen den Kontakt, auch in der Organisation, im Unternehmen. Sie müssen sich sehen, wollen Nähe erleben und sich austauschen, und zwar direkt und ganz unmittelbar. Vertrauen bildet sich nicht online, sondern im direkten Kontakt.

Remote work erfordert zudem von der Führungskraft ein starkes Zuhören, ein hingewandtes Zuhören. Wie kommen alle Beteiligten mit den Anforderungen an die Selbstorganisation zurecht? Wie sind die Erfahrungen mit der zunehmenden Vermischung bzw. der notwendigen Abgrenzung von Privatem und Beruflichem? Dies sind nur einzelne Fragen, die aufgrund des eingeschränkten persönlichen Kontaktes um so mehr an Bedeutung gewinnen.

`Menscheln` statt fachlichem Input

In den vergangenen Wochen wurden wir von einem Leadership-Team beauftragt, ein Offsite-Meeting zu konzipieren. Dieses Meeting solle einen hohen Anteil an Austauschmöglichkeiten eröffnen, so ein Auftraggeber. Das Team hätte in den vergangenen zwei Jahren zwar hervorragend performt, doch der persönliche Kontakt sei aufgrund der flexiblen und mobilen Arbeitszeiten und -räume vernachlässigt worden. Alle haben sich zwar durch die zwei Jahre der Pandemie hindurch gekämpft, aber die Reflektion und das Begegnen in den unterschiedlichen Erlebnissen sei dabei auf der Strecke geblieben. Einen fachlichen Input oder Reflexion des beruflichen Handelns solle gar nicht thematisiert werden. `Menscheln` wäre angebracht, sich wieder einmal abzuholen und zwischenmenschlich zu begegnen, der persönliche Kontakt solle im Fokus stehen.

„Raus aus der Routine“ – unter diesem Thema wurde eine ausgedehnte Orientierungswanderung im Wald mit anschließender Kanutour zurück zum kleinen Landhotel geplant. Das Team versorgte sich mit der notwendigen Ausrüstung wie Rucksack, Karte, Kompass, Verpflegung und machte sich auf den Weg. Kreative Lösungen mussten gefunden werden, da für die Zubereitung des warmen Mittagessens etwas Wichtiges auf dem Verpflegungsbasar vergessen wurde. Die herbstlichen Farben des Waldes und die durchras Blätterdach scheinenden Sonnenstrahlen regten die Gespräche während der Wanderung an. Eine kleine Lichtung als ein besonderer Ort im Wald ermöglichte einen ausführlichen und intensiven Austausch zu der persönlichen Bilanz der vergangenen zwei Jahre.

Nun, das Leadership-Team hat die Zielvorstellung des Meetings nicht ganz erreicht und den Fokus auch hin und wieder mal auf die Arbeitssituation gerichtet. Und das ist auch verständlich. Aber, sie haben mit dem „Draußen-Arbeiten“ sowie durch die Aktivitäten des Gehens/Wanderns und des Kanufahrens und dem persönlichen Austausch über unterschiedlichste Themen ein update ihres Team-commitments hergestellt.

Unterwegs auf dem Fluss, im Wald, auf dem See

Ähnliche Anfragen haben wir in den letzten Monaten vermehrt erhalten. Dass dabei der Wunsch nach Draußen-Sein immer wieder geäußert wurde, ist leicht nachvollziehbar. Lassen Sie mich hier drei Begründungen nennen:

  • Die Freude am Draußensein ist etwas, dass die meisten von uns zutiefst bewegt. Dort gewinnen wir Abstand zum Arbeitsalltag und können die Menschen, mit denen wir diesen bestreiten, auf eine andere Art kennenlernen. Ungewöhnliche Settings ermöglichen ungewohnte Lernerfahrungen in einer neutralen und risikofreien Atmosphäre.
  • Die aufgesuchte Landschaft ist ebenso von Bedeutung, denn sie wirkt als ein Türöffner für Stimmungen und Atmosphären und kann unseren Fokus neu ausrichten. Nehmen Sie sich einmal ein paar Sekunden Zeit, schließen Sie ihre Augen und lassen Sie sich in verschiedene Landschaften hineinziehen. Wir wirkt der Raum auf Sie? An welche Stimmungen denken Sie, wenn Sie einen See betrachten, in einem Mischwald spazieren gehen, auf einem Bergrücken stehen oder das Meer wahrnehmen? Landschaften und Orte wirken emotional auf uns. Der einen umschließende Wald dient uns oftmals als Reflexionsraum für Gefühlszustände, die weite Sicht auf einen Berggipfel verhilft zu Klarheit und unterstützt das Entwickeln von Visionen, der Blick auf das endlose Meer weckt in uns eine Sehnsucht.
  • Auch die Bewegung durch den Raum trägt zu einem erfolgreichem Teammeeting bei. Das Gehen hat zum Beispiel nicht nur entschleunigenden Charakter, sondern es aktiviert durch die rhythmische Vorwärtsbewegung auch das Denken, es verhilft dazu, klare Gedanken zu fassen und schwierige Situationen neu zu betrachten.
    Der gleichmäßige Rhythmus der Paddelbewegung im selbstgebauten Drachenboot lässt die Einzelnen im Team unmittelbar das erfolgreiche Handeln spüren und trägt zur Kohärenz des Teams bei.

Vielleicht inspirieren die Fotos ja auch Ihre Lust, mal wieder rauszugehen…

 

Martin Lindner

Empathie macht erfolgreich

Warum Empathie gerade jetzt so wichtig ist!

Laut BKK Gesundheitsreport aus dem Jahr 2020 geht jeder sechste Fehltag auf psychische Probleme zurück. Tendenz steigend. Ein Drittel aller Arbeitnehmenden fühlen sich in den letzten zwei Jahren laut dem Randstad -Arbeitsbarometer mental nicht ausreichend unterstützt. Vor diesem aktuellen Hintergrund ist Empathie kein nice-tohave mehr, sondern wird zu einem must-have. Empathie ist aus zwei Perspektiven ein wesentlicher Bestandteil von Führungskompetenz. Eine Blickrichtung zielt auf die Selbstempathie und die daraus resultierende Selbststeuerung ab. Der andere Blick fokussiert die Beweggründe und Motive von Mitarbeitenden. Diese lassen sich nur durch empathische Verhaltensbeobachtung erschließen, da sie nicht direkt zu beobachten sind 

Was verstehen wir unter Empathie? 

Die Fähigkeit sich einzufühlen ist auf den ersten Blick eine Selbstverständlichkeit und wird häufig mit empathischem Handeln gleichgesetzt. Den Begriff „Empathie“ verwenden wir schnell und glauben eigentlich auch zu wissen, wovon wir sprechen, wenn wir das Wort benutzen. Die Wissenschaft beißt sich jedoch seit ca. 100 Jahren die Zähne daran aus, diesen Begriff zu operationalisieren. 

Vielleicht nehmen Sie sich mal eine Minute Zeit und fragen sich, wie Sie Empathie definieren würden. Was ist das eigentlich genau?  

Vielleicht fallen Ihnen schnell Begriffe wie Mitgefühl, Mitleid oder Einfühlungsvermögen ein.  

Beim Nachdenken über diese möglichen Assoziationen sind zwei Aspekte interessant: 

  1. In der Regel verstehen wir unter Empathie etwas, was auf eine andere Person gerichtet ist. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die Grundlage von Empathie ist zunächst die Selbstwahrnehmung. Vor der Einfühlung in andere steht die Kompetenz der Selbsteinfühlung, der Offenheit gegenüber eigenen, auch unangenehmen Emotionen und Gedanken. Diese Fähigkeit ist deshalb wichtig, weil wir schnell eigenen Emotionen den Status von Objektivität verleihen und deshalb denken, andere müssten so fühlen wie wir. Das ist jedoch eine Täuschung. Forschungen an der Berliner Charité zeigen, dass emotional aktivierte Menschen weniger empathisch reagieren, sondern eher eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit zeigen, mit der Gefahr, eigene Emotionen fälschlich auch von anderen zu erwarten.

 

  1. Empathie wird ursprünglich und deshalb heute auch noch häufig, als ausschließlich emotionales Konstrukt verstanden. Daher fallen uns in der Regel Begriffe wie Einfühlung ein, wenn wir nach einer Definition suchen. In der Empathieforschung ging man jedoch dazu über, unter Empathie sowohl affektive, wie auch kognitive Aspekte zu verstehen. Der emotionale Teil der Empathie lässt uns in der Gegenwart von Trauernden ebenfalls traurig Bei dieser „Gefühlsansteckung“ ist es wesentlich, zu unterscheiden, ob es sich um eigene Emotionen handelt oder um die der anderen. 

Unter der kognitiven Komponente wird das intellektuelle Verstehen und Nachvollziehen- der Situation einer anderen Person verstanden. Wenn beispielsweise ein Freund seinen Job verliert, ermöglicht die kognitive Perspektivübernahme die Vermutung, dass er enttäuscht ist und Sorge hat, keine neue Anstellung zu finden. Die kognitive Sicht erlaubt also auch, Emotionen einer anderen Person zu erkennen, die jedoch nur rational-logisch erschlossen und nicht z. B. durch Einfühlung affektiv-emotional erlebt werden.  

Decken sich Ihre spontanen Gedanken zum Empathiebegriff mit den Ausführungen? Im Folgenden möchte ich noch genauer darauf eingehen, aus welchen Fertigkeiten Empathie besteht und wo wir Einfluss auf den Grad unserer Empathiefähigkeit haben. 

Was passiert bei einer emphatischen Reaktion? 

Empathie ist zunächst ein Persönlichkeitsmerkmal und stellt damit eine recht stabile Verhaltensdisposition dar, auf die bewusst kaum Einfluss möglich ist. Gleichzeitig sind jedoch die Fertigkeiten lernbar, die das individuelle Level der eigenen Empathiefähigkeit erhöhen können. Um genauer identifizieren zu können, welche Fertigkeiten erworben werden können hilft das von Altmann und Roth (2013) vorgestellte Empathie-Prozess-Modell. Es beschreibt vier Stufen, die wasserfallartig aufeinander aufbauen und im Folgenden erläutert werden. Auch wenn diese Phasen in der Realität sehr schnell aufeinander folgen, lohnt sich eine intensive Betrachtung der einzelnen Phasen: 

 1. Stufe: Wahrnehmung 

Der empathische Prozess beginnt mit der Wahrnehmung der anderen Person und ihrer emotionalen Situation. Die Qualität der Wahrnehmung kann zwischen „keiner Aufmerksamkeit“ und „komplexe Verarbeitung“ liegen. Abhängig von der Qualität dieser Wahrnehmung, gestaltet sich die Intensität der nächsten Prozessstufe. 

Beispiel: Im gleichen Büro mit Ihnen sitzt ihr üblicherweise gut gelaunter Kollege. Er erhält einen Anruf und wirkt danach stiller.  

Was bemerken Sie? 

    • Haben Sie eine grundsätzliche Einschätzung vom Kollegen?  
    • Bemerken Sie die Verhaltensänderung?  
    • Sind Sie selber so in Ihre Arbeit vertieft, dass sie den Kollegen nicht mitbekommen? 

Tipp: Wenn es wichtig ist: Schärfen Sie Ihre Sinne. Achten sie nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern auf die Körpersprache, die Stimme, die Mimik. Hören Sie auf Ihr „Bauchgefühl“. 

 2. Stufe: Interpretation 

Bei der zweiten Phase, werden die Situation, Gedanken und Gefühle der anderen Person interpretiert, gewichtet und kombiniert. Sie fertigen ein gedankliches Modell an, das sogenannte mentale Modell. Die eigene Biografie, Glaubenssätze und Werte spielen bei der Einordnung in diesem Prozessschritt eine große Rolle. Es ist von Bedeutung, wie reflektiert mit den eigenen Assoziationen umgegangen wird und, ob eine Offenheit für unterschiedliche Lebenswirklichkeiten mitgebracht wird oder die eigenen Erfahrungen auf andere übertragen werden. 

Beispiel: Bemerken Sie die Veränderung des Kollegen und denken, dass er eine unangenehme private Nachricht bekommen hat? Sie kennen das. Ihre Angehörigen rufen auch immer mal im Büro an. Bleiben Sie bei dieser Interpretation oder denken Sie aktiv über Alternativen nach (eine Führungskraft hat angerufen, ein unangenehmer Kunde hat sich gemeldet, es hat nichts mit dem Anruf zu tun, …) 

Tipp: Überlegen Sie sich Alternativen zu Ihrer ersten, spontanen Interpretation. Manchmal hilft es, sich vorzustellen, was ein guter Freund in der Situation gedacht hätte. Machen Sie sich vor allem bewusst, dass Ihre Deutung nicht richtig sein muss. 

3. Stufe: Gefühl 

Interessanterweise kommt nun erst das Gefühl ins Spiel. Das empathische Fühlen lässt uns vergleichbare Emotionen in ähnlicher Intensität, wie sie die andere Person vermutlich erlebt, selber nachfühlen. 

Vielleicht überrascht es Sie, dass die Emotionen die Folge eines Millisekunden dauernden Interpretationsprozesses sind. Subjektiv erleben wir Phase zwei und drei umgekehrt. Da die Emotionen präsenter sind, stufen wir sie in der Regel als unabänderlich ein und glauben, darauf eine stimmige Interpretation aufzubauen. Forschungsergebnisse zu der im Nervensystem messbaren Reihenfolge zeigen jedoch, dass die Emotion abhängig ist von der vorher von uns unbewusst getroffenen Interpretation. Ändern wir die Deutung, ändert sich auch die Emotion. 

 Beispiel: 

    • Sie denken der Anruf war Privat. -> Sie empfinden z.B. ein Schuldgefühl, weil es ihnen selber so geht, wenn ihre Kinder anrufen. 
    • Sie denken, eine Führungskraft hat sich gemeldet. -> Sie empfinden möglicherweise Mitgefühl, weil sie wissen, wie unangenehm es ist, kritisiert zu werden. 
    • Sie interpretieren einen Kundenanruf. -> Sie empfinden Ärger, weil die Kunden oft unverschämt sind. 

Tipp: Da Sie wahrscheinlich erst in dem Moment, in dem Sie ein Gefühl wahrnehmen anfangen zu überlegen, können Sie hier prüfen, woher Ihre Emotion kommt und mit welchem Gedanken sie in Verbindung steht. Das Gefühl fordert Sie dazu auf, nochmal zu reflektieren, bevor Sie handeln. 

 4. Stufe: Handlung 

In der vierten Phase gibt es nun eine Antwort, also eine Reaktion auf die Situation und das Erleben der anderen Person. Entsprechend des vorgestellten Beispiels kann eine empathische Handlung aufgrund der von Ihnen getroffenen Interpretation und dem folgenden Gefühl sehr unterschiedlich ausfallen.  

 Beispiel: 

    • Bei der Interpretation „privater Anruf mit anschließendem Schuldgefühl“ würden Sie vielleicht nichts tun, um ihr eigenes unangenehmes Gefühl zu vermeiden. 
    • Bei der Variante „Führungskraft und Mitgefühl“ würden Sie vielleicht ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen.  
    • Bei der Vermutung „Kundenanruf mit Ärger“ würden Sie vielleicht sagen: „Echt blöd. Herr/Frau XY wusste wahrscheinlich mal wieder nicht wohin mit irgendeinem Ärger und wir bekommen es dann ab.“ 

Empathie ist nicht immer einfach 

Wie Sie sicher aus Ihrer eigenen Erfahrung kennen, gibt es Situationen, in denen wir wenig empathisch bzw. unangemessen reagieren. Das kann unterschiedliche Gründe und innere Motive haben. Zwei Varianten unglücklicher Reaktionsweisen möchte ich kurz erläutern. 

Im Alltagsverständnis halten wir in der Regel Unterstützung und Hilfestellung im Sinne des Bedürftigen für empathisch. Allerdings kann auch das Nicht-Helfen empathisch sein. Würden Sie z.B. einem Kind die Schuhe binden, wenn sie wissen, dass es das alleine kann? Wahrscheinlich nicht. Sie würden vielleicht etwas Ermutigendes sagen und zur Selbsthilfe auffordern. Falls Sie dem Kind doch die Schuhe binden, weil Sie schnell auf Hilferufe reagieren, wäre das eher eine nicht adäquate Reaktion, die möglicherweise Ihrem eigenen Bedürfnis nach z.B. „gemocht werden“ dient. 

Ebenso wenig hilfreich sind Sätze wie: 

„Kopf hoch, das wird schon wieder.“ 

„Das ist mir auch schon so gegangen, da habe ich …. gemacht.“ 

„Das glaube ich nicht.“ 

Diese Reaktionen sind Bestandteil des sogenannten empathischen Kurzschlusses. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er ein weiteres Öffnen des Gegenübers verhindert oder zu einem Gesprächsabbruch führt. In der Regel entsteht der Kurzschluss, wenn Hilflosigkeit im Umgang mit den vorgetragenen Emotionen ausgelöst wird. Analog zu einem elektrischen Kurzschluss ist die Energie danach gleich Null. 

Empathie ist lernbar! Was können Sie tun? 

Nehmen Sie die emotionale Situation des anderen zunächst an. Akzeptieren Sie die Gemütslage. Signalisieren Sie, dass Sie den anderen verstehen, indem sie zuhören, spiegeln, zusammenfassen und Gefühle benennen. Verstehen heißt dabei nicht, dass Sie zustimmen müssen. Wichtig ist: Sie sind nicht für eine Lösung verantwortlich! 

Hilfreiche Orientierung für empathisches Führen bieten Konzepte wie das Aktive Zuhören, die Gewaltfreie Kommunikation oder Achtsamkeitstechniken. 

Auch wenn hierarchische Strukturen und sachlich/technisches Denken das souveräne Navigieren in sozialen Systemen behindern, möchten wir Sie ermutigen, Empathie in ihren dargestellten Facetten als Steuerrad in einem erfolgreichen Führungsalltag zu nutzen. 

Literatur: 

Altmann, T. (2015), Empathie in sozialen und Pflegeberufen, Psychologie in Bildung und Erziehung: Vom Wissen zum Handeln, Wiesbaden: Springer Fachmedien.  

Altmann, T., & Roth, M. (2013). The evolution of empathy: From single components to process models. In C. Mohiyeddini, M. Eysenck, & S. Bauer (Hrsg.), Psychology of emotions (S. 171–188). New York: Nova Science Publishers. 

  

Monika Eckern 

Outdoortraining für Auszubildende

Unterwegs-Sein, Neues entdecken, Grenzen erweitern. 

Esst nicht zu viel. Nach dem Abendessen gibt es die Wassermelone. Was bin ich froh, dass ich die jetzt nicht mehr tragen muss! Drei Stunden schleppe ich sie schon im Rucksack und sie ist verdammt schwer, die wiegt bestimmt zehn Kilo. Wer wollte die eigentlich mitnehmen? Was fürein Quatsch! Und warum habe ich gesagt, dass ich sie schleppe? Wer hat die Verantwortung für die Verpflegung?“ (Leon) 

Zehn Auszubildende eines Großunternehmens bilden eine von acht Gruppen und haben sich im Sauerland auf den Weg gemacht. Sie haben ihren Seminarort, das wärmende Bett und das Frühstücksbuffet verlassen und wollen in zwei Tagen wandernd ihr gemeinsames Ziel in einem ehemaligen Steinbruch im Meisterstein erreichen. Ein Foto des darin liegenden smaragdgrünen Bergsees lässt ein Leuchten in ihren Augen hervorscheinen und erhöht ein wenig die Motivation, selbst bei denjenigen, die sich bereits vor dem Start auf den Tag der Rückreise freuen. Einen Vormittag hatten sie Zeit, um ihre Durchquerung des Sauerlands zu planen. 

Vorbereitung 

In Bewegung bleiben, sich und die anderen der Gruppe besser kennenlernen, so könnte man das Vorhaben beschreiben. Es geht um die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen. Es geht um Verantwortungsbewusstsein, um Organisationsfähigkeit, um Kommunikationsfähigkeit und um Eigeninitiative. Es geht aber auch um die Auseinandersetzung mit widrigen Situationen, mit Grenzen, mit Neuem und mit Gemeinschaft.  

Das notwendige Material wie Rucksack, Schlafsack, Isomatte und Kochausrüstung wird den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt. Bei dem weiteren Material müssen sie sich allerdings entscheiden: Wie viele Tarps und Planen wollen sie mitnehmen, um sich eine Biwak-Unterkunft zu bauen? Wieviel Brennmaterial benötigen Sie für die Kocher? Was ist mit der Verpflegung? Auf einem Tisch ist ein Lebensmittelbasar vorbereitet. Hier können sie sich für die nächsten drei Tage (3x Frühstück, 3x warmes Abendessen, 3x Unterwegs-Verpflegung) bedienen. Allerdings sollten sie im Blick haben, dass sie all das, was sie mitnehmen, auch tragen müssen. Hierzu gehört auch zu überlegen, was an persönlichen Gegenständen notwendig sein wird. Und das ist ein ganz wichtiger Prozess, da er die Auseinandersetzung mit einer zukunftsfokussierten Haltung fördert. Es ist das Durchdenken und Vorwegnehmen dessen, was passieren könnte. Es ist die Entwicklung einer Sensibilität für noch verborgene Möglichkeiten, denn die Folgen möglicher hereinbrechender Widerstände (z.B. Kälte, Nässe…) können beträchtlich sein. Die Auseinandersetzung mit dieser Haltung wird ein wichtiges Thema der Transferreflexion mit den Trainer:innen sein. 

Alle Auszubildenden übernehmen eine Rolle (Tagesmanagement, Verpflegungsmanagement…) in diesem Projekt und erhalten dazu eine Einweisung, um die Aufgabe gut erfüllen zu können. Hierzu gehört neben den rein technischen Informationen z.B. zu Karte und Kompass, dem richtigen Rucksackpacken und der Materialeinführung auch, dass die Verantwortlichen die jeweiligen Rahmenbedingungen kennen. So erhalten die für die Navigation zuständigen Personen u.a. einen definierten Verhaltenskatalog für den Aufenthalt in der Natur. Sie bekommen die Karte mit den geschützten Gebieten und müssen das Umlaufen dieser in ihre Planung einbeziehen. 

Alles was sie nicht wissen, wo sie auf bisherige Erfahrungen nicht zurückgreifen können, können sie noch schnell recherchieren. Oder sie sprechen die Trainer:innen und die Ausbilder:innen an, die gerne ihre Expertise weitergeben. 

Aufbruch 

Die Wanderung soll um 13:00 Uhr starten. Vor der Gruppe liegt eine Halbtagestour. Sind sie pünktlich und haben sie alles dabei? Schnell erinnert Marie, die Tagesmanagerin, vor dem Verlassen der sicheren Unterkunft nochmal an die wichtigen Gegenstände. Marie achtet darauf, dass die Gruppe ihr Tagesziel erreicht. Sie schaut u.a. auch nach der Stimmung in der Gruppe, schließlich ist es wichtig, dass alle motiviert sind und bleiben. Da alles klar scheint, kann es losgehen.
Wir, die Trainer:innen halten uns zurück, gehen den Weg mit ihnen, geben angemessenen, protektiven Raum für Erfahrungen und unterstützen im Sinnen einer beratungsorientierten (Zurück-)Haltung. 

Die Verantwortung liegt nun zunächst bei Lukas, der die Aufgabe der Orientierung übernommen hat, die Arbeit mit Karte und Kompass. Welchen Weg wählt er, um zu dem ersten Übernachtungspunkt zu kommen, einem Bauernhof am Waldrand in der Nähe eines kleinen Dorfes? Holt er sich Unterstützung ein, wenn er sich bei der Routenwahl nicht sicher ist? Beteiligt er die anderen an seiner Planung? Denkt er an die unterschiedlichen Steigungen und die damit verbundenen Anstrengungen? Wie werden der Weg und die Tageszeit abgestimmt? Wird die Leistungsfähigkeit der Gruppe realistisch eingeschätzt? 

Natürlich können ese am Anfang noch nicht alles wissen. Das ist genauso wie in der Ausbildung. Wissen wird ihnen vermittelt und sie müssen es nun in der Praxis anwenden. Häufig lässt sich nicht alles 1:1 übertragen. Lösungen für eine Problemstellung müssen gefunden werden. Aber den Auszubildenden sollte klar sein, dass sie sich zunächst mit dem Thema selber auseinandersetzen, dass sie sich eigenständig um eine Problemlösung kümmern, bevor sie die Ausbilder:innen nach Unterstützung fragen. Wie gelingt das Lukas und den anderen? 

Mit kleineren Umwegen, die am Ende des Tages besprochen werden, erreicht die Gruppe ihr Ziel. Leicht erschöpft und froh, angekommen zu sein, lassen sie sich auf ihren Rucksäcken nieder. Das Wetter ändert sich und graue Wolken ziehen heran, der Übernachtungsplatz auf der Wiese muss dringlichst eingerichtet werden, um nicht durch den zu erwartenden Regen und daraus folgender Nässe auszukühlen. Paul, der Biwakmanager, fragt nach den notwendigen Materialien und erläutert, wie er die Tarps aufbauen will, damit alle einen wettergeschützten Übernachtungsplatz haben und sie in Ruhe essen können. Er hat sich ausführlich mit den unterschiedlichen Aufbauarten auseinandergesetzt und entscheidet sich für eine Variante. Das Material war leider nicht vollständig, eine Tarpstange fehlte. Ziemlich betroffen steht Paul da und ärgert sich: Wie sollen sie jetzt trocken bleiben? Lara hat die Idee, zwei der mitgenommenen Wanderstöcke zusammenzubinden und als Ersatzstange zu nutzen. Das funktioniert und das Biwakcamp steht.
Im Anschluss greift Katrin, die Trainerin, das Thema der fehlenden Tarpstange auf und stellt Bezüge zu vermeidbaren und zu intelligenten Fehlern her. Erstere deuten auf Nachlässigkeit hin und sind zu vermeiden. Intelligente Fehler können passieren und das Unternehmen kann daraus Neues entwickeln. 

Alle können trotz leichten Nieselregens in Ruhe essen. Einzelne denken mit Paul nochmal über das Missgeschick des fehlenden Materials nach und überlegen, ob das vermeidbar oder gar intelligent war und was sie aus dem „Fehler“ lernen können. Sie schlafen die erste Nacht draußen – warm, trocken und satt.  

Unterwegs-Sein 

In der Nacht hat es noch leicht geregnet, aber das frühmorgendliche Wetter zeigt sich wieder von einer besseren Seite. Während Paul dafür sorgt, dass die Tarps trocken verpackt werden, erläutert Laura, die Materialmanagerin nochmal den Umgang mit den Kochern. Sicherheit geht vor und Verletzungen dürfen nicht passieren. Sie war sich nicht sicher, ob am Vorabend alle richtig zuhören konnten. Zu sehr war die Gruppe mit den widrigen Situationen beschäftigt: Freude über das Ankommen, Erschöpfung vom Rucksacktragen, der einsetzende Regen und die fehlende Tarpstange.
Auch im Arbeitsalltag kommt man manchmal nicht zur Ruhe. Neue oder unerwartete, ungeplante Aufgaben werden an die Lernenden gestellt. Und sie müssen sich motivieren, auch diese Herausforderungen anzunehmen. Das gelingt manchen besser und manchen noch nicht so gut.
Es ist wichtig, als Trainer:in von außen diese Unterschiede wahrzunehmen und sie in die abendlichen Gespräche am kleinen, aber wärmenden Lagerfeuer einfließen zu lassen.  

Marie überträgt ihre Verantwortung an Jana, die nun am zweiten Tag die Rolle der Tagesmanagerin übernimmt. Jana ruft die Gruppe für eine letzte Besprechung zusammen, holt sich alle Informationen von den unterschiedlichen Projektleitungen (Material-, Versorgungs-, Biwak- und Orientierungsmanagement) ein und fasst das Wesentliche zusammen. An diesem Tag liegt eine etwa 11km lange Etappe vor ihnen. Das sollte gut zu schaffen sein, allerdings müssen sie eine Strecke von etwa 5km querfeldein, nach Marschzahl und mit Kompass gehen. In dem waldreichen und recht steilen Gelände bedeutet das ständiges peilen, peilen und peilen. Ungenaues Peilen heißt, das Ziel zu verfehlen und einen großen Umweg zu gehen. Auf einer Distanz von etwa 4km führt eine Abweichung von 2° bereits zu einem Verfehlen des angepeilten Zieles von fast 1km. Genaues Arbeiten und eine antizipierende Unterstützung in der Gruppe werden in diesem weglosen Gelände erforderlich sein, um das Ziel so schnell und so genau wie möglich zu erreichen. Gut, dass die Wassermelone bereits gegessen wurde. 

Jana checkt nochmal den Lagerplatz und ist sehr zufrieden, dass sie den Platz so verlassen, wie sie ihn vorgefunden haben. Das zeigt nicht nur einen sensiblen und nachhaltigen Umgang mit der Natur, sondern deutet auch auf ein Dankeschön an die Familie hin, die ihnen gegen ein wenig Holzhacken die Wiese als Lagerplatz sowie frische Ziegenmilch am Morgen zur Verfügung gestellt hat. Jetzt kann die nächste Etappe beginnen. 

Sich auf neue Wege zu begeben, fordert die Auszubildenden heraus. Nicht für alle ist das ein bequemer Weg. Für uns ist das Verlassen der gewöhnlichen Wege eine Metapher für individuelle Entwicklungschancen der Auszubildenden. Die Orientierung mit Hilfe eines Kompasses, das Überwinden steiler Berge und natürlicher Hindernisse auf dem Weg stellt eine besondere Herausforderung dar, die nur mit guter Kommunikation und wechselseitiger Unterstützung bewältigt werden kann. Umwege dürfen dabei möglich sein, die im Sinne einer fehlerfreundlichen Kultur als wichtige Erfahrungen für zukünftiges Handeln von den Trainer:innen angesprochen und reflektiert werden.  

Ankommen 

Nach 2,5-tägiger Wanderung erreicht die Gruppe das Ziel. Der Blick von oben auf den Bergsee lässt alle nahezu verstummen, so herrlich liegt er eingekesselt im alten Steinbruch. Das ist ein würdiges Ziel. Das letzte Biwak wird aufgebaut und dann kann endlich der Schweiß mit einem Bad im kalten, klaren Bergsee „abgeduscht“ werden. Was für eine Erholung für die Füße.  

Das gemeinsame Abendessen wird im Vergleich zu den vorhergehenden Essen noch stärker zelebriert. Es ist eine Gemeinschaft entstanden, die sich auf Unbekanntes eingelassen, einen langen Weg bewältigt und Höhen und Tiefen teilweise bei sich selbst und/oder bei anderen erlebt hat. Beim anschließenden Lagerfeuer werden die Geschichten des Wanderns, des Biwakierens und des „Omnia mea mecum porto“ (Alles was ich besitze, trage ich bei mir!) ausführlich erzählt, kommentiert und subjektiv verarbeitet. 

Transfer 

Die Auszubildenden freuen sich auf den morgigen Tag. Sie werden im Steinbruch gemeinsam klettern gehen, sich aus recht großer Höhe abseilen und sich gegenseitig durch herausfordernde Kletterpassagen begleiten und helfen. Der Fokus liegt noch einmal auf dem individuellen Umgang mit Herausforderungen und welche Unterstützung den einzelnen Auszubildenden in solchen Situationen hilfreich ist. Zu erkennen, was hilft, um schwierige Situationen zu bewältigen und wie ich ’ticke’, wenn es mal eng wird, und auf welche Ressourcen ich zurückgreifen kann, das ist das Ziel des Klettertages.
Die anschließende Rückfahrt mit dem Bus zum Seminarort beträgt lediglich 30 Minuten. Ein kurzer Weg für erfahrungsreiche drei Tage. Und tatsächlich ist es herrlich, wieder im Bett zu liegen und zu duschen. Aber es ist anders herrlich. 

Nach dem Frühstück am letzten Morgen gibt es noch ein ausführliches Feedback von allen Beteiligten zu den übernommenen Verantwortungsbereichen: Wie habe ich meine Rolle ausgefüllt? Was ist mir selbst dabei aufgefallen? Wie ist mein Verhalten bei den anderen angekommen? Und verständlicherweise werden immer wieder Bezüge zum Ausbildungsunternehmen bzw. zum Berufsalltag gezogen. Was von dem, was ich hier kennengelernt habe, kann ich in meiner Ausbildung umsetzen? Wie werde ich das umsetzen? Wer kann mich darin unterstützen, falls ich noch einen kleinen Schups benötige? 

 

Originaltöne (Namen sind alle anonymisiert) 

„Das Abenteuer, was einem das ganze Leben in Erinnerung bleiben wird. Man ging bis an seine Grenzen und lernte, diese stets zu überwinden. An diese Woche werde ich mich immer erinnern.“ (Lukas) 

„Wandern wird zwar keins meiner Hobbies werden, doch hat mich das ehrliche Feedback der Gruppe, die Erfahrungen mit Karte und Kompass sowie das Vertrauen zu den anderen geprägt, was mir in Zukunft für meine persönliche Entwicklung weiterhelfen wird.“  (Jana) 

„Anschließend bleibt zu erwähnen, dass man aus dieser Zeit sowohl den eigenen Charakter besser kennenlernte als auch Eigenschaften aufgezeigt bekam, die noch verbesserungswürdig sind. […]“ (Laura) 

 

 

Martin Lindner 

Psychologische Sicherheit – Bausteine für ein sicheres und innovationsförderndes Teamklima 

Angst ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern die größtmögliche Bremse für jedes Unternehmen. Sie erschwert Wachstum, Innovation und gefährdet unter Umständen die Organisation, wie wir z.B. im Automobil-Emissionsskandal gesehen haben. Hätte in den Unternehmen eine Kultur der Problemanerkennung und der Fehleraufdeckung bestanden, wäre ihnen ein hoher finanzieller Schaden und ein großer Vertrauensverlust erspart geblieben. Doch die Kultur, dass Unangenehmes und Abweichendes nicht geäußert wurde, trug zu diesem Skandal bei. Als Vasa-Syndrom werden in Management- und Marketingkreisen solche Kommunikationsprobleme bezeichnet. 

Amy C. Edmondson, Leadership-Professorin an der Harvard Business School, hat in ihrer Forschungstätigkeit exzellente Organisationen untersucht und festgestellt, dass diese sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie unter den Führungskräften und Mitarbeitenden eine kritische und konstruktive Konfliktkultur erarbeitet haben. Edmondson verwendet hierfür den Begriff der psychologischen Sicherheit, der in Teams und Organisationen vorhanden sein sollte. Veröffentlicht hat sie ihre Forschungsergebnisse in dem Bestseller Die angstfreie Organisation – Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. 

Psychologische Sicherheit in Teams und in Organisationen als Erfolgsfaktor 

Amy C. Edmondson ist davon überzeugt, dass in den Organisationen eine Atmosphäre entwickelt werden muss, in der jede:r sich beteiligt und nicht befürchten muss, wegen abweichender Meinungen oder Hinweisen auf Probleme und Risiken öffentlich kritisiert zu werden. Eine sichere Arbeitsumgebung trage dazu bei, Wissen zu generieren, Innovationen voranzutreiben und damit zum Wettbewerbsvorteil der Organisation beizutragen. Wissen und Innovation bedeuten in der komplexen und volatilen Arbeitswelt den enorm wichtigen Vorsprung, sie sind in nahezu allen Branchen die bestimmenden Faktoren beim Wettbewerbsvorteil geworden. Um das zu gewährleisten, wird häufig das Recruiting qualitativ ausgebaut, um den war of talents für sich zu gewinnen.  

Diese Herangehensweise ist richtig, aber nicht ganz zufriedenstellend. Es sei nicht ausreichend, die fähigsten und motiviertesten Menschen einzustellen, so Edmondson. Denn gerade dann, wenn ihr Wissen am ehesten benötigt wird, möchten sie in den meisten Arbeitsumgebungen nichts Unfertiges mitteilen oder möchten sie ihre Vorgesetzten nicht verärgern. Sie halten sich lieber zurück. Ihnen fehlt in ihrer Arbeitsumgebung der Faktor der psychologischen Sicherheit: Sich sicher genug zu fühlen, Fehler machen zu können, Risiken einzugehen und auch in der Gegenwart des Teams verletzlich zu sein und nicht bloßgestellt zu werden. Damit der Wissensaustausch erfolgreich sein kann, muss eine Arbeitsatmosphäre so gestaltet sein, dass die Menschen sich psychologisch sicher fühlen, um ihr Wissen mitzuteilen. Dazu gehört auch das Teilen von Fragen, Fehlern und noch nicht zu Ende gedachten Ideen. Die vor wenigen Jahren im The New York Times Magazine veröffentlichte Google-Studie „Project Aristotle“ (Duhigg 2016) unter dem Titel „What Google Learned from its quest to build the perfect Team“ unterstützt diese Erkenntnis. 

Psychologische Sicherheit kann dazu beitragen, dass die Qualität der Produkte verbessert wird und es zufriedene Kunden gibt. Sie kann darüber entscheiden, ob ein Risiko gerade noch erkannt und ein Scheitern verhindert wird. Sie kann für die Entwicklung von Innovationen bestimmend sein und die innere Motivation der Mitarbeitenden fördern. 

Was psychologische Sicherheit nicht ist 

Psychologische Sicherheit heißt nicht, friedlich und nett im Team zusammenzuarbeiten, alles zu unterstützen und jede Idee zu feiern. Das ähnelt fast dem Groupthink-Phänomen, mit dem eine falsch verstandene Harmoniebildung durch Konformitätsdruck beschrieben wird. Im Gegenteil, bei der psychologischen Sicherheit können und sollen Meinungsverschiedenheiten frei ausgetauscht werden, ohne dass es dabei zur Bloßstellung eines Einzelnen oder gar zu einem Beziehungsabbruch führt. 

Psychologische Sicherheit bedeutet ebenso nicht, dass die Anforderungen reduziert werden, dass die Arbeit gefällig wird und alle Mitarbeitenden sich ausruhen können. Wie könnte auch so ein Wettbewerbsvorteil eintreten? Psychologische Sicherheit schafft hingegen beste Voraussetzungen, dass Mitarbeitende bei hohen Leistungsanforderungen qualitativ hochwertige Leistungen erbringen können.  

Und psychologische Sicherheit lässt sich nicht einfach durch den Begriff Vertrauen austauschen, auch wenn es zwischen beiden Dimensionen bedeutsame Zusammenhänge gibt. Vertrauen basiert auf der Wahrnehmung eines Einzelnen und bezieht sich vor allem auf den interpersonalen Bereich, anders gesagt auf ein konkretes Gegenüber. Zwar bildet Vertrauen häufig die Voraussetzung für das Entstehen von psychologischer Sicherheit und dennoch ist es nicht das Gleiche. Psychologische Sicherheit geht über zwischenmenschliches Vertrauen hinaus, sie bezieht sich auf eine gemeinschaftliche Beschreibung der Arbeitsatmosphäre.  

Wodurch zeichnet sich eine psychologisch sichere Arbeitsumgebung aus 

Vor bereits 60 Jahren hat Edgar H. Schein (1996) den Ausdruck Psychologische Sicherheit in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt. Unter Bezugnahme auf das Dreiphasenmodell der Veränderung (unfreezing – moving – freezing) von Kurt Lewin betrachtete Schein psychologische Sicherheit vor allem in der ersten Phase einer geplanten Veränderung als wirksam. Denn dort, wo gewohnte Abläufe, Handlungen und Deutungsmuster ihre Gültigkeit verlieren, werden Gefühle der Irritation, der Verunsicherung oder der Angst ausgelöst. Damit diese erste Phase des „Auftauens/Auflockerns“ passieren kann, muss ein ausreichendes Maß an psychologischer Sicherheit vorhanden sein. 

Psychologische Sicherheit ist eine gemeinsame Überzeugung der Mitarbeitenden in Bezug auf das Arbeitsklima. Sie basiert auf der kollektiven Beurteilung des Arbeitsumfelds, also nicht nur innerhalb einer 1:1-Beziehung. Aus einer solchen, von verschiedenen Menschen geteilten Bewertung entsteht der Effekt, der mit dem Begriff „konstruktives Teamklima“ gefasst werden kann. In der Praxis bedeutet das, dass sich alle Mitarbeitenden in der Lage fühlen, Risiken einzugehen, sich zu äußern und proaktiv zu handeln. Weiterhin bedeutet das, dass die zwischenmenschliche Atmosphäre von Unterstützung und nicht von Misstrauen geprägt ist. „Psychological safety is a sense of confidence that the team will not embarrass, reject, or punish someone for speaking up.“ (Edmondson 1999, 354) Psychologische Sicherheit besteht dann, wenn alle Mitarbeitenden eines Teams (einer Organisation) das Gefühl haben, neue Ideen und Problemlösungen in einem nicht wertenden Klima vorschlagen zu können. 

Beurteilen Sie den Grad an psychologischer Sicherheit in ihrem Team 

Nehmen Sie sich drei Minuten Zeit und betrachten sie das Verhalten ihres momentanen Teams, das sie leiten oder in dem sie mitarbeiten. Angelehnt an den von Amy C. Edmondson erstellten Fragebogen für das Teamklima, sollten Sie folgende sieben Dimensionen bewerten: 

  • Umgang mit Fehlern, 
  • Offene Kommunikation, 
  • Akzeptanz von unterschiedlichen Meinungen, 
  • Einstellung zu Risiko, 
  • Hilfsbereitschaft und Teamfähigkeit, 
  • Anerkennung von Leistungen anderer, 
  • Wertschätzung im Team. 

Welchen Eindruck haben Sie nun von Ihrem Team? Und wie betrachten Sie sich selbst hinsichtlich der sieben Dimensionen? Diese knappe Beurteilung ist ein guter Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der psychologischen Sicherheit. 

Was können Sie tun, um die psychologische Sicherheit in ihrem Team zu erhöhen 

Ohne Frage sind alle Mitarbeitenden angehalten, etwas für die psychologische Sicherheit im Team zu investieren und gewinnbringende Formen der Zusammenarbeit umzusetzen, z.B. nicht übereinander, sondern miteinander zu reden. Wir empfehlen zudem den Fokus auf das Führungshandeln zu legen und fördernde Bausteine der Entwicklung einer psychologisch sicheren Arbeitsumgebung zu benennen, denn die direkte Führungskraft hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz so sicher fühlen, dass sie Neues ausprobieren, vorläufige Ideen äußern oder andere um Hilfe bitten.  

1. Baustein: Führungskräfte sind Vorbilder 

Als Führungskraft sind Sie Vorbild. Teilen Sie sich mit und gehen Sie voran, was Offenheit betrifft. Machen Sie einen ersten Schritt und gehen Sie selbst interpersonelle Risiken ein. Teilen Sie auch mit, wenn Ihnen etwas nicht so gut gelungen ist, wo Sie vielleicht einen Fehler gemacht haben oder wo Sie sich mal in die Irre verrannt haben. Entschuldigen Sie sich, wenn Sie unrecht hatten oder stellen Sie klar, wenn Sie falsch lagen. Irren ist menschlich.  

Unterscheiden Sie zwischen vorhersehbaren, vermeidbaren und intelligenten Fehlern. Die ersten beiden Fehlertypen sollten tatsächlich nicht entstehen, wenn Können und Erfahrung an sich vorhanden sind. Die Antwort hierauf lautet Standardisierung und Training. Intelligente Fehler hingegen, also Fehler, die in neuen Situationen entstehen, sind sogar erstrebenswert, da dadurch neues Wissen generiert wird. Fördern Sie diese Art Fehler und analysieren und reflektieren Sie diese mit ihrem Team. 

Nutzen Sie Team-Reflexionsmeetings, um die Bedeutung der wechselseitigen Abhängigkeit hinsichtlich der anstehenden Herausforderungen zu betonen. Laden Sie Ihre Mitarbeitenden auf ehrliche Weise zur Mitwirkung ein und geben Sie die Richtung vor. Situationsbezogene Demut verdeutlicht, dass Sie als Führungskraft nicht alles wissen und nicht für alles eine Lösung haben. Sammeln Sie mit Ihrem heterogen zusammengesetzten Team Informationen zu der Fragestellung, stellen Sie proaktiv Fragen, interpretieren Sie Ihre Erkenntnisse und suchen Sie gemeinsam nach Lösungen. 

Sprechen Sie auch auf Führungsebene über Ihre Haltung und die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit untereinander zu fördern. Wenn die Unternehmenskultur entsprechende Werte wie Selbstbestimmung, Partizipation, Vertrauen, Kreativität nicht unterstützt, können Sie als einzelne Führungskraft auch nur bedingt entgegensteuern. 

2. Baustein: Kontakt vor Kooperation 

Schaffen Sie Situationen, Zeiten und Räume, in denen sich nicht nur die Mitarbeitenden in ihrer Funktion, sondern die Menschen begegnen können, um miteinander in Kontakt zu treten. Ein Offsite-Meeting oder eine mit Themen versehene Wanderung ist eher kontaktstiftend und förderlich für ein konstruktives Teamklima als ein Betriebsausflug. 

Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Mitarbeitenden, lernen Sie sie intensiver kennen und zeigen Sie echtes Interesse an dem, was andere bewegt. Die Wertschätzung des Gesagten fördert eine Kultur des Vertrauens im Team und in der Organisation. Seien Sie demütig und fangen Sie an, Ihr Wissen zu teilen, kommunizieren Sie mit Ihren Mitarbeitenden auf Augenhöhe und fragen Sie nach deren Auffassung und Expertise zu dem Thema. Selbstöffnung und Interesse am anderen sind sehr erfolgreiche Wege, Menschen kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. 

3. Baustein: Gelebte Feedback-Kultur 

Eine jährliche Befragung der Mitarbeitenden als Führungsfeedback ist ein guter Beitrag zu einer Feedback-Kultur. Effizienter wird sie, wenn Feedback niedrigschwellig, in alle Richtungen und hochfrequent stattfindet. Schaffen Sie eine gelebte Feedback-Kultur, z.B. im Anschluss an die Teammeetings: Habe ich in meiner Darstellung etwas oder jemanden übersehen? Sind alle beteiligt worden? Arbeiten wir so gut zusammen? Dann benötigen Sie nicht noch weitere anonymisierte Fragebögen auf Teamebene, um deren Effizienz zu erfassen. 

Quellen 

Duhigg, C. (2016). What Google learned from its quest to build the perfect team. https:// www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build- the-perfect-team.html?smid=pl-share&_r=1. Stand: 18. Feb. 2022 

Edmondson, A.C. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44, 350–383. 

Edmondson, A.C. (2020). Die angstfreie Organisation. Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. München: Vahlen. 

Schein, E. H. (1996). Kurt Lewin’s change theory in the field and in the classroom: Notes towards a model of managed learning. Systems Practice, 9(1), 27-47.  

 

Martin Lindner

Teamkultur verbessern – Führen ohne Druck

TEAMKULTUR VERBESSERN: VON ESELN LERNEN

Morgens gegen 8.30 Uhr begrüße ich zusammen mit einer Kollegin das Team einer Versicherung auf einem oberhessischen Bauernhof in der Nähe von Marburg. Es ist noch kühl, aber der Tag scheint sonnig zu werden. Nach Monaten des Homeoffice und digitaler Sitzungen geht es heute zu einem Teamtraining gemeinsam in die Natur. Endlich treffen sich die Mitarbeitenden wieder persönlich. Die Sehnsucht nach diesem Kontakt in Präsenz drückt sich bereits in der Herzlichkeit bei den Begrüßungen aus. Gleichzeitig sind alle aufgeregt, denn die kommenden zwei Tage werden außergewöhnlich. 

TEAMKULTUR STARTET IMMER LANGSAM, WENN ES VORWÄRTS GEHEN SOLL

Meine Kollegin und ich nehmen das Team bei einem ersten Kaffee in Empfang. Begrüßung, Vorstellen und Kennenlernen erwecken noch den Eindruck eines üblichen Workshopsauftaktes. Neben uns Trainerinnen wird das Team jedoch an diesen Tagen von vier ungewöhnlichen Kolleginnen und Kollegen verstärkt. Sie schauen bereits zur Stalltür hinaus: Graues Fell, lange Ohren und freundliche iah-Laute begrüßen uns alle. Eine Wanderung zusammen mit Eseln ist für die nächsten zwei Tage geplant und deshalb gilt es als erstes, sich mit den tierischen Kolleginnen und Kollegen bekannt zu machen. Die vier heißen Pepper, Petty, Piet und Pepe und sie stellen sich sehr schnell als deutlich unterscheidbare Persönlichkeiten heraus.  

Meine Kollegin ist Eselexpertin und gibt einige wenige Hinweise für die erste direkte Begegnung mit den Eseln. Das Team betritt die Eselkoppel, ohne dass schon zu viele Informationen die direkten Erfahrungen überlagern. Die erste Aufgabe für das Team ist es, auf der Koppel darauf zu achten, wie jede Person persönlich den Kontakt mit den Eseln gestaltet. Welche Impulse, Gedanken und Gefühle kann jede:r bei sich selber beobachten? Wie gehen meine Kolleginnen und Kollegen in Kontakt? Was beobachte ich bei den Eseln? Gibt es wohl ein Leittier? Welcher Esel ist mir sympathisch und warum? Welcher Esel geht auf welchen Menschen zu und wie macht er das? Im Grunde geht es also darum, sich mit allen Sinnen auf ein unbekanntes Gegenüber einzustellen. 

GUTE TEAMKULTUR ERMÖGLICHT NEUE PERSPEKTIVEN AUF SICH UND DIE WELT

Nach circa 30 Minuten trifft sich das Team zu einer ersten Reflexion und einem Austausch über die Beobachtungen. Das eigene Verhalten und das Verhalten des Teams konnten aus einer neuen Perspektive betrachtet werden.  

Das Team erfährt von den Trainerinnen einige Details über die Eselgruppe, jeden einzelnen Esel und grundsätzliche Infos.  Es überrascht z. B., dass Esel hierarchielos leben. Sie kommen freiwillig zu einer Gemeinschaft zusammen, weil sie gerne mit anderen zusammen sind. Es gibt aber kein klassisches Leittier. Esel legen Wert auf eigene Entscheidungen. 

Erstaunen löst auch die Information aus, dass Esel nicht störrisch sind. Sie sind gute Beobachter:innen. Sie laufen bei Gefahr nicht fluchtartig weg, sondern bleiben stehen, betrachten die Situation und denken nach. Eine Eigenschaft, die uns als Vorbild dienen könnte. Für das Team bedeutet dieses Wissen, die Esel empathisch zu führen, um rechtzeitig mit den Augen der Tiere zu sehen, um Gefahren vorweg zu nehmen und sich so als vertrauenswürdige Führungskraft zu erweisen. Esel folgen nur freiwillig. Sie akzeptieren eine gute Führung, aber reagieren nicht auf Druck. 

TEAMKULTUR HEISST, JEDEN TAG NEU AUFZUBRECHEN

Nach dieser ersten Begegnung und dem Austausch werden die Esel auf den Hof geführt und mit Packtaschen versehen. Das Beladen der Esel mit Gepäckstücken, die für die zweitägige Expedition nötig sind, ist eine weitere Team-Aufgabe. Was soll mitgenommen werden? Wie wird es verpackt? Wie viel kann den Eseln zugemutet werden? Was sollen die Menschen selber tragen? Diese Aufgabe beschäftigt das Team die nächsten 2 Stunden und dann geht es nach einem kleinen Snack endlich los. Das Ziel des ersten Tages ist eine 10 km lange Etappe mit aktiven Pausen.  

Nach circa 3 km gibt es die erste Rast an einer wunderbaren Aussichtsstelle. Im Kreis sitzend ist nun Zeit und Raum für eine sogenannte Befindlichkeitsrunde. Wie ist es allen wirklich in den letzten Monaten ergangen? Was beschäftigt jede:n? Gibt es etwas, was in den Tagen besprochen werden soll? Es entsteht ein intensiver Austausch und alle hören konzentriert und einfühlsam zu, einschließlich der Esel. Diese umrunden die Menschen, bleiben im Sitzkreis stehen und lauschen, grasen oder machen faxen. Das soll nicht die letzte Situation sein, in der deutlich wird, welchen Einfluss die tierischen Begleiter auf die Atmosphäre des Teams haben. Die Ruhe der Tiere, ihre Aufmerksamkeit und ihr Selbstbewusstsein wirken entspannend, erzeugen Gelassenheit und Freude ohne abzulenken oder der Konzentriertheit zu schaden.  

TEAMKULTUR LÄSST RAUM FÜR EMPATHISCHEN AUSTAUSCH

Nach circa 1 Stunde geht es weiter. Einige Themen sind identifiziert, die in den nächsten Stunden besprochen werden sollen. Und für alle gibt es zahlreiche Anlässe, in Kleingruppen- oder Zweiergesprächen auf andere zuzugehen, um nochmal genauer nachzufragen, was in der Runde nur angedeutet werden konnte. 

Beim Wandern bewegen sich in der Regel 4-5 Teammitglieder um einen Esel herum. Eine:r aus der Gruppe hat den Führstrick in der Hand. Die Auseinandersetzung mit dem Führen lässt Rückschlüsse auf den eigenen Umgang mit anderen Mitarbeitenden zu. Der Umgang mit dem Esel ermöglicht mit Achtsamkeit und mit eindeutigen Signalen, sich selbst und den anderen gegenüber klarer zu kommunizieren. Diese Haltung reduziert beim Wandern den Stress für die „Führungskraft“ und den Esel. Die führenden Personen können ausprobieren, wie kooperativ sie mit dem Esel agieren, wie viel Sicherheit sie auch in brenzligen Situationen vermitteln, wie sie motivieren. 

EINE STIMMIGE TEAMKULTUR ERMÖGLICHT DAS ZUSAMMENSPIEL UNTERSCHIEDLICHER PERSÖNLICHKEITEN

Immer wieder wechseln die Personen, die die Esel führen. Immer wieder bilden sich neue Gruppen rund um einen Esel, in der die Teammitglieder ins Gespräch kommen. Es ist angenehm, eine Resonanz zwischen dem Rhythmus der Tiere und dem Rhythmus der Menschen zu bemerken. Es entwickelt sich ein Tempo, bei dem sich alle wohl fühlen. Schnell wird klar, in welcher Reihenfolge die Esel laufen möchten. Der stürmische, witzige, pubertierende und halbstarke Pepper führt die Gruppe an. Die ältere Eseldame Petty bildet den gemütlichen, aber zuverlässigen Abschluss. Der schwer berechenbare Pepe versucht immer mal wieder die Führungsposition zu ergattern und der friedliche Piet trottet gemächlich und träumend an Platz drei und lässt sich gerne kraulen. Je nach Typ sortieren sich auch langsam die Menschen den Eseln zu.  

Immer wieder gibt es Gespräche darüber was beobachtet werden kann, welche Eigenschaften mit welchem Eselcharakter assoziiert werden, mit wem man selber gut zusammenpasst und welches Verhalten einzelne herausfordert. Diese Gespräche bieten Anlässe für entspannte Mini-Feedbacks und Selbstreflexionen. 

Bis zum Eintreffen am Zielort des ersten Tages gibt es weitere kurze Rasten mit kleinen Inputs zu Eseln, Achtsamkeitsübungen und Gespräche, über die am Mittag in der ersten Runde genannten Themen. So bekommt das Team z.B. für die letzte Etappe die Aufgabe, sich in bewusst gewählten Gruppen zusammen zu tun und über das Thema „Zusammenarbeit in der Homeoffice Zeit“ in den Austausch zu kommen. Die Ergebnisse dieser Kleingruppengespräche sollen am Abend beim Lagerfeuer mit allen geteilt werden. 

TEAMKULTUR BRAUCHT EMOTIONEN

Gegen 17:00 Uhr trifft die Gruppe an einem Bauernhof ein. Natürlich geht es nicht in irgendwelche Schlafzimmer, sondern wir bleiben auf der Wiese hinter dem Haus. Die sanitären Einrichtungen können genutzt werden und auch Wasser bekommen wir vom Haus.  

Nun gilt es, sich zu organisieren, um eine angenehme Situation zum abendlichen Austausch, zum Essen und für das Nachtlager aufzubauen. 

Das Team teilt sich auf. Zu aller erst werden die Esel versorgt. Das Gepäck wird abgeladen. Aus Latten wird für sie ein provisorisches Quartier errichtet. Futter und Wasser werden bereitgestellt. Auch das Auskratzten der Hufe stellt keine große Hürde für einzelne mehr dar. Unsere tierischen Kolleginnen und Kollegen scheinen sich schnell wohlzufühlen und bewegen sich in ihrem behelfsmäßigen Stall, wie zu Hause.  

Manch fangen an, für das Abendessen am offenen Feuer Vorbereitungen zu treffen. Andere bauen Zelte auf und richten sie ein. Gegen 20.00 Uhr ist alles erledigt. Das Team sitzt zufrieden auf Baumstämmen rund um das Lagerfeuer und genießt den Gemüseeintopf mit kräftigem Brot dazu.  

Bevor der Tag reflektiert wird, geht doch der eine oder die andere zu den Eseln, um zu schauen, ob es ihnen gut geht. Die gemeinsame Zeit hat bereits eine intensive Verbindung zu den Tieren geschaffen und gleichzeitig hat sich das Miteinander der Menschen persönlicher und freudvoller entwickelt. 

Bei der Abendreflexion findet der Austausch über die „Kleingruppenthemen“ statt. Aufmerksames Zuhören und Nachfragen kennzeichnen diese verbindende Situation. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Das Lagerfeuer erleuchtet den Kreis des Teams und bildet so einen Raum der Sicherheit und Zusammengehörigkeit. 

TEAMKULTUR IST EIN PROZESS

In aller Frühe geht es am nächsten Morgen wieder zurück. Nach einem gemeinsamen Frühstück werden die Materialien verstaut, das Esellager wird zurück gebaut und alle Reste beseitigt. Die Esel werden wieder beladen und die Menschen schultern ihre Rucksäcke. Beide Gruppen sind zu einem gemeinsamen Team geworden. Die nötigen Handgriffe sind selbstverständlicher, die Beziehungen zu den Eseln haben sich vertieft. Nicht nur dadurch, dass die Esel einen Teil der Lasten tragen sind sie TeamMitglied geworden, sondern auch durch ihre Persönlichkeit. Es tut gut, nebenbei die weichen Eselsohren zu kraulen, das Fell zu streicheln oder den Eselshals zu umarmen. Gespräche in kleinen Gruppen in der Anwesenheit der Esel entfalten eine besondere Atmosphäre. Auch wenn die Esel sich nicht äußern, entsteht doch der Eindruck, dass sie zu hören und verständnisvoll nicken. Ihre Anwesenheit und Präsenz wirkt sich beruhigend auf die Teilnehmenden aus und ermöglicht in vielen Fällen eine vertiefte Selbstkundgabe und intensive Gespräche. Der 8 km lange Rückweg ist viel zu kurz. Am Ende steht der Abschied von den Eseln. Alle Teammitglieder empfinden tatsächlich so etwas wie Trauer. Auch den Eseln scheint es nicht ganz leicht zu fallen. Als wir den Hof verlassen, stehen sie alle an ihrem Gatter und rufen uns ein „iah“ hinterher. Man könnte meinen, sie sagen: „Wir wollen mit. 

TEAMKULTUR LEBT VON REFLEXIONEN

Zahlreiche Erfahrungen, die das Team in den zwei Tagen gemacht hat und insbesondere die in Erinnerung bleibenden emotionalen Bilder, sind Eselsbrücken in den Alltag. Themen, die für Teams oder Führungskräfte in der Zusammenarbeit mit Eseln erfahrbar werden, sind u.a.: 

  • Achtsamkeit und Schärfung der Wahrnehmung 
  • Perspektivwechsel und Verstehen des Anderen 
  • Umgang mit Widerstand und Motivation 
  • Klarheit in der Kommunikation 
  • Genießen mit allen Sinnen 
  • Direktes Feedback auf eigenes Verhalten 
  • Erleben eines veränderten Teamklimas 
  • Alternativen zum Umgang mit Druck und Stress 

Können Sie sich einen Entwicklungsschub für sich oder für ihr Team durch ein Coaching oder ein Teamtraining, bei dem Sie mit Eseln in Kontakt kommen, vorstellen?  

Monika Eckern 

Vertrauenskultur aufbauen – „Ins-Gespräch-Gehen“ und zukunftsfähig bleiben 


Eine Führungskraft eines führenden Unternehmens auf den Gebieten der Medizin und Sicherheitstechnik trat kürzlich mit uns mit folgender Anfrage in Kontakt: Unser Team hat jetzt die letzten 1,5 Jahre hervorragende Ergebnisse erzielt und wir haben uns bis auf äußerst wenige Treffen in unterschiedlicher Zusammensetzung nur virtuell getroffen. Um diese Performance weiterhin zu erhalten, möchte ich gerne, nein, ich muss mit meinem Team in einen persönlichen Kontakt treten. Und das Team und ich sollen uns untereinander persönlich besser kennenlernen. Können Sie uns begleiten?  

Vertrauenskultur aufbauen und Kontakt herstellen

Ein zweitägiges Offsite-meeting mit viel Bewegung in der Natur und der Zielsetzung, dass einerseits Raum für Austausch über persönliche Erfahrungen hinsichtlich der bisherigen Bewältigung der Pandemie möglich wird und, dass zudem die Personen und nicht die Rollenträger deutlich sichtbar werden, wurde in einer offsite-location im Norden Deutschlands umgesetzt. Walk & talk in den herbstlichen Laubwäldern, gemeinschaftliches Kochen am See, ein Blick aus dem wackeligen Kanu auf den sonnendurchfluteten Herbstwald sowie eine kleine Wanderung mit Eseln in der Bretziner Heide boten vielfältige Gesprächsanlässe und ermöglichten ein vertiefendes Kennenlernen in wechselnden Kleingruppen.  

„Das war mit Abstand das Beste, was wir in der momentanen Zeit der Pandemie machen konnten“, so Robert Otta (Dräger Safety) im zeitlichen Abstand zum offsite-meeting. „Es hat uns maßgeblich weiter zusammengebracht, das wird auch unsere Business-Performance positiv beeinflussen.“
(Robert Otta, Global Head of Quality Management & Quality Assurance) 

Und tatsächlich war es auf den Wanderungen möglich, mit Interesse, Neugierde und Nachfragen den Wahrnehmungen und Gedanken der Einzelnen zu folgen. Edgar H. Schein würde in diesem Fall von „Personisierung“ zum Aufbau einer gelingenden Vertrauenskultur sprechen.  

Vertrauenskultur ist abhängig von den Ebenen menschlicher Beziehungen

Der MIT-Organisationspsychologe unterscheidet in der zwischen 2016 und 2018 erschienenen Führungskompetenz-Trilogie Humble Inquiry, Humble Consulting und Humble Leadership vier Ebenen von menschlichen Beziehungen und arbeitet deren jeweilige Bedeutung für das Handeln als Führungskraft, aber auch für das Handeln als Beratungsperson heraus. Ein auf Unterdrückung basierendes, feindseliges, sklavenartiges Verhältnis ordnet er auf Ebene Minus-1 ein. Eine intime Verbundenheit, wie sie in Familien oder in Freundschaften vorherrscht, bezeichnet er als eine Beziehung auf der Ebene 3. Eine lose, häufig an Rollen gebundene Beziehung z.B. zwischen einer technischen Fachkraft und einem Kunden, definiert er als Ebene 1. Und genau zwischen diesen beiden Ebenen, so Ed Schein, sollten sich Führungskräfte und Beratungspersonen hin entwickeln, um den Anforderungen einer unsicheren, von gegenseitiger Abhängigkeit geprägten und immer komplexer werdenden Umwelt (—> VUCA) zu begegnen sowie eine gelingende Vertrauenskultur zu unterstützen. Ebene 2 Beziehungen betrachten den Menschen im Rahmen einer Arbeitsbeziehung als ganzen Menschen. 

Ebene 3: Intime Verbundenheit
Ebene 2: Arbeitsbeziehung, unter Beachtung des Gegenübers als ganzen Menschen
Ebene 1: Rollenförmige Beziehung
Ebene -1: Unterdrückendes, ausbeutendes Verhältnis

Abb. Vertrauenskultur ist abhängig von den Ebenen der menschlichen Beziehungen (in Anlehnung an Edgar H. Schein) 

Ausschlaggebendes Kriterium für die Unterscheidung der Ebenen ist die Intensität der „Personisierung“. Die Autoren verstehen darunter den Prozess eines gemeinsamen Aufbaus einer Arbeitsbeziehung, in dem die Beteiligten nicht nur in der Rolle, sondern als ganze Menschen betrachtet werden. „Personisierung“ meint, dass die Beziehung persönlicher gestaltet wird, sei es durch Fragen oder die Preisgabe von Persönlichem. Die Wahrung der Balance zwischen den Extremen von zu grosser Förmlichkeitund zu grosser Intimität ist sogleich Notwendigkeit wie Wagnis. 

Be humble – Bescheidenheit als Führungsqualität

Führung geschieht niemals beziehungslos, aber im Angesicht heutiger Komplexität muss sich diese Beziehung wandeln. Es reicht nicht mehr aus, dass sie lediglich funktioniert. Sie muss vielmehr eine Antwort auf die Komplexität sein, die wir jeden Tag erfahren. Dies kann eine vertikale Hierarchie mit ihren Schwerpunkten auf formale, transaktionale Beziehungen, professionelle Distanz und Anordnungen von oben nicht leisten. Ein solcher Führungsstil ist hoffnungslos unflexibel. Gefragt sind Führungsqualitäten, die Dominanz reduzieren, die eine Kultur des Vertrauens und der Offenheit ermöglichen. 

Bei der Umsetzung solcher Führungsstile erscheint Bescheidenheit als Persönlichkeitseigenschaft für Führungskräfte als eine gute Voraussetzung. Bescheidenheit als Führungshaltung denkt Beziehungen, in denen es gilt, ein geteiltes Wissen zu erschließen, mit und fördert somit den Aufbau einer gelingenden Vertrauenskultur 

Eine Haltung von Interesse und Neugierde: Was können Sie tun? 

Häufig entsteht schnell ein Machtgefälle in den Beziehungen. Wer in einem Gespräch Fragen stellt, überlässt dem anderen – zwar vorübergehend – eine gewisse Macht: Denn der andere erfährt, was ich wissen will. Ein Gespräch jedoch, das zu einer Beziehung führt, muss gleichwertig und ausgeglichen sein. Vorurteilsfreies Fragen basiert auf Neugierde und Aufmerksamkeit. 

Leider hemmen unsere Gewohnheiten, unsere kulturellen Errungenschaften, die Anwendung des Neuen. Da wir uns in einer Kultur des Sagens und des Belehrens statt des Fragens bewegen, fällt es uns schwerer, diese Routine zu durchbrechen und neue Gewohnheiten zu entwickeln. Doch wenn man ein paar Hinweise berücksichtigt, begibt man sich auf den Weg, eine fragende und neugierige Haltung einzunehmen. Wollen Sie diesen Lernschritt auf dem Weg hin zu einer gelingenden Vertrauenskultur in Ihrem Team und in Ihrer Organisation gehen, dann beachten Sie bitte folgende Hinweise. 

Langsamer werden und das Tempo variieren

Gespräche verlangen die ungeteilte Aufmerksamkeit. Sind wir mit anderen Dingen beschäftigt, können wir uns nicht darauf einlassen und erkennen nicht unbedingt die Tragweite des Gesprächs. Ob es sich im Gespräch mit den Mitarbeitenden vielleicht um den Hinweis auf ein ernstzunehmendes Problem handelt oder ob es sich um eine wichtige, noch nicht ganz ausgereifte Innovation handelt, geht häufig in den Türrahmengesprächen unter. Gefragt ist eine Form der Entschleunigung, des Sicht-Zeit-Nehmens, mal in der Mittagspause einen gemeinsamen Spaziergang machen. Wenn die Beziehung tragfähig ist, erledigen sich die Aufgaben umso schneller. 

Achtsamer werden

Langsamer werden kann auch bedeuten, genauer zu werden und auf Besonderes zu achten. Wesentliche Informationen könnten sonst verloren gehen. Manchmal hilft es, bei einer Entscheidung in stressigen Situationen die Dinge von den unterschiedlichsten Seiten zu betrachten. `Wie betrachte ich die Situation nun? Wie erlebt vermutlich der andere die Situation? Und was geschieht gerade noch?` sind prozessorientierte Fragen, die den Fokus leicht erweitern helfen. 

Eigenes Verhalten reflektieren

Wer sein Tempo variiert und achtsamer wird, wird auch Zeit finden, das eigene Handeln zu beobachten und zu reflektieren, danach zu schauen, was einem gut und weniger gut gelingt. Die Einsicht, dass man stets nur über begrenzte Fähigkeiten verfügt und nicht alles allein gestalten kann, eröffnet neue Potentiale. 

Informelle Räume schaffen

Schaffen Sie wiederkehrende Zeiten und Räume der Begegnung, die nicht den Strukturen des Arbeitssettings unterliegen, in denen sie in Kontakt treten und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen können.  

 

Literatur 

Schein, E.H. (2016). Humble Inquiry – Vorurteilslos Fragen als Methode effektiver Kommunikation. EHP: Bergisch-Gladbach. 

Schein, E.H. (2017). Humble Consulting – Die Kunst des vorurteilslosen Beratens. Carl-Auer: Heidelberg. 

Schein, E.H. & Schein, P.A. (2018). Humble Leadership – Erfolgreich führen mit Beziehung, Offenheit und Vertrauen.  EHP: Bergisch-Gladbach. 

 

Autor: Martin Lindner 

Foto: www.depositfoto.com