Ausschlaggebendes Kriterium für die Unterscheidung der Ebenen ist die Intensität der „Personisierung“. Die Autoren verstehen darunter den Prozess eines gemeinsamen Aufbaus einer Arbeitsbeziehung, in dem die Beteiligten nicht nur in der Rolle, sondern als ganze Menschen betrachtet werden. „Personisierung“ meint, dass die Beziehung persönlicher gestaltet wird, sei es durch Fragen oder die Preisgabe von Persönlichem. Die Wahrung der Balance zwischen den Extremen von zu grosser Förmlichkeitund zu grosser Intimität ist sogleich Notwendigkeit wie Wagnis.
Be humble – Bescheidenheit als Führungsqualität
Führung geschieht niemals beziehungslos, aber im Angesicht heutiger Komplexität muss sich diese Beziehung wandeln. Es reicht nicht mehr aus, dass sie lediglich funktioniert. Sie muss vielmehr eine Antwort auf die Komplexität sein, die wir jeden Tag erfahren. Dies kann eine vertikale Hierarchie mit ihren Schwerpunkten auf formale, transaktionale Beziehungen, professionelle Distanz und Anordnungen von oben nicht leisten. Ein solcher Führungsstil ist hoffnungslos unflexibel. Gefragt sind Führungsqualitäten, die Dominanz reduzieren, die eine Kultur des Vertrauens und der Offenheit ermöglichen.
Bei der Umsetzung solcher Führungsstile erscheint Bescheidenheit als Persönlichkeitseigenschaft für Führungskräfte als eine gute Voraussetzung. Bescheidenheit als Führungshaltung denkt Beziehungen, in denen es gilt, ein geteiltes Wissen zu erschließen, mit und fördert somit den Aufbau einer gelingenden Vertrauenskultur
Eine Haltung von Interesse und Neugierde: Was können Sie tun?
Häufig entsteht schnell ein Machtgefälle in den Beziehungen. Wer in einem Gespräch Fragen stellt, überlässt dem anderen – zwar vorübergehend – eine gewisse Macht: Denn der andere erfährt, was ich wissen will. Ein Gespräch jedoch, das zu einer Beziehung führt, muss gleichwertig und ausgeglichen sein. Vorurteilsfreies Fragen basiert auf Neugierde und Aufmerksamkeit.
Leider hemmen unsere Gewohnheiten, unsere kulturellen Errungenschaften, die Anwendung des Neuen. Da wir uns in einer Kultur des Sagens und des Belehrens statt des Fragens bewegen, fällt es uns schwerer, diese Routine zu durchbrechen und neue Gewohnheiten zu entwickeln. Doch wenn man ein paar Hinweise berücksichtigt, begibt man sich auf den Weg, eine fragende und neugierige Haltung einzunehmen. Wollen Sie diesen Lernschritt auf dem Weg hin zu einer gelingenden Vertrauenskultur in Ihrem Team und in Ihrer Organisation gehen, dann beachten Sie bitte folgende Hinweise.
Langsamer werden und das Tempo variieren
Gespräche verlangen die ungeteilte Aufmerksamkeit. Sind wir mit anderen Dingen beschäftigt, können wir uns nicht darauf einlassen und erkennen nicht unbedingt die Tragweite des Gesprächs. Ob es sich im Gespräch mit den Mitarbeitenden vielleicht um den Hinweis auf ein ernstzunehmendes Problem handelt oder ob es sich um eine wichtige, noch nicht ganz ausgereifte Innovation handelt, geht häufig in den Türrahmengesprächen unter. Gefragt ist eine Form der Entschleunigung, des Sicht-Zeit-Nehmens, mal in der Mittagspause einen gemeinsamen Spaziergang machen. Wenn die Beziehung tragfähig ist, erledigen sich die Aufgaben umso schneller.
Achtsamer werden
Langsamer werden kann auch bedeuten, genauer zu werden und auf Besonderes zu achten. Wesentliche Informationen könnten sonst verloren gehen. Manchmal hilft es, bei einer Entscheidung in stressigen Situationen die Dinge von den unterschiedlichsten Seiten zu betrachten. `Wie betrachte ich die Situation nun? Wie erlebt vermutlich der andere die Situation? Und was geschieht gerade noch?` sind prozessorientierte Fragen, die den Fokus leicht erweitern helfen.
Eigenes Verhalten reflektieren
Wer sein Tempo variiert und achtsamer wird, wird auch Zeit finden, das eigene Handeln zu beobachten und zu reflektieren, danach zu schauen, was einem gut und weniger gut gelingt. Die Einsicht, dass man stets nur über begrenzte Fähigkeiten verfügt und nicht alles allein gestalten kann, eröffnet neue Potentiale.
Informelle Räume schaffen
Schaffen Sie wiederkehrende Zeiten und Räume der Begegnung, die nicht den Strukturen des Arbeitssettings unterliegen, in denen sie in Kontakt treten und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen können.
Literatur
Schein, E.H. (2016). Humble Inquiry – Vorurteilslos Fragen als Methode effektiver Kommunikation. EHP: Bergisch-Gladbach.
Schein, E.H. (2017). Humble Consulting – Die Kunst des vorurteilslosen Beratens. Carl-Auer: Heidelberg.
Schein, E.H. & Schein, P.A. (2018). Humble Leadership – Erfolgreich führen mit Beziehung, Offenheit und Vertrauen. EHP: Bergisch-Gladbach.
Autor: Martin Lindner
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