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Psychologische Sicherheit – Bausteine für ein sicheres und innovationsförderndes Teamklima

07. November 2022

Angst ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern die größtmögliche Bremse für jedes Unternehmen. Sie erschwert Wachstum, Innovation und gefährdet unter Umständen die Organisation, wie wir z.B. im Automobil-Emissionsskandal gesehen haben. Hätte in den Unternehmen eine Kultur der Problemanerkennung und der Fehleraufdeckung bestanden, wäre ihnen ein hoher finanzieller Schaden und ein großer Vertrauensverlust erspart geblieben. Doch die Kultur, dass Unangenehmes und Abweichendes nicht geäußert wurde, trug zu diesem Skandal bei. Als Vasa-Syndrom werden in Management- und Marketingkreisen solche Kommunikationsprobleme bezeichnet.

Amy C. Edmondson, Leadership-Professorin an der Harvard Business School, hat in ihrer Forschungstätigkeit exzellente Organisationen untersucht und festgestellt, dass diese sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie unter den Führungskräften und Mitarbeitenden eine kritische und konstruktive Konfliktkultur erarbeitet haben. Edmondson verwendet hierfür den Begriff der psychologischen Sicherheit, der in Teams und Organisationen vorhanden sein sollte. Veröffentlicht hat sie ihre Forschungsergebnisse in dem Bestseller Die angstfreie Organisation – Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen.

Psychologische Sicherheit in Teams und in Organisationen als Erfolgsfaktor

Amy C. Edmondson ist davon überzeugt, dass in den Organisationen eine Atmosphäre entwickelt werden muss, in der jede:r sich beteiligt und nicht befürchten muss, wegen abweichender Meinungen oder Hinweisen auf Probleme und Risiken öffentlich kritisiert zu werden. Eine sichere Arbeitsumgebung trage dazu bei, Wissen zu generieren, Innovationen voranzutreiben und damit zum Wettbewerbsvorteil der Organisation beizutragen. Wissen und Innovation bedeuten in der komplexen und volatilen Arbeitswelt den enorm wichtigen Vorsprung, sie sind in nahezu allen Branchen die bestimmenden Faktoren beim Wettbewerbsvorteil geworden. Um das zu gewährleisten, wird häufig das Recruiting qualitativ ausgebaut, um den war of talents für sich zu gewinnen.  

Diese Herangehensweise ist richtig, aber nicht ganz zufriedenstellend. Es sei nicht ausreichend, die fähigsten und motiviertesten Menschen einzustellen, so Edmondson. Denn gerade dann, wenn ihr Wissen am ehesten benötigt wird, möchten sie in den meisten Arbeitsumgebungen nichts Unfertiges mitteilen oder möchten sie ihre Vorgesetzten nicht verärgern. Sie halten sich lieber zurück. Ihnen fehlt in ihrer Arbeitsumgebung der Faktor der psychologischen Sicherheit: Sich sicher genug zu fühlen, Fehler machen zu können, Risiken einzugehen und auch in der Gegenwart des Teams verletzlich zu sein und nicht bloßgestellt zu werden. Damit der Wissensaustausch erfolgreich sein kann, muss eine Arbeitsatmosphäre so gestaltet sein, dass die Menschen sich psychologisch sicher fühlen, um ihr Wissen mitzuteilen. Dazu gehört auch das Teilen von Fragen, Fehlern und noch nicht zu Ende gedachten Ideen. Die vor wenigen Jahren im The New York Times Magazine veröffentlichte Google-Studie „Project Aristotle“ (Duhigg 2016) unter dem Titel „What Google Learned from its quest to build the perfect Team“ unterstützt diese Erkenntnis.

Psychologische Sicherheit kann dazu beitragen, dass die Qualität der Produkte verbessert wird und es zufriedene Kunden gibt. Sie kann darüber entscheiden, ob ein Risiko gerade noch erkannt und ein Scheitern verhindert wird. Sie kann für die Entwicklung von Innovationen bestimmend sein und die innere Motivation der Mitarbeitenden fördern.

Was psychologische Sicherheit nicht ist

Psychologische Sicherheit heißt nicht, friedlich und nett im Team zusammenzuarbeiten, alles zu unterstützen und jede Idee zu feiern. Das ähnelt fast dem Groupthink-Phänomen, mit dem eine falsch verstandene Harmoniebildung durch Konformitätsdruck beschrieben wird. Im Gegenteil, bei der psychologischen Sicherheit können und sollen Meinungsverschiedenheiten frei ausgetauscht werden, ohne dass es dabei zur Bloßstellung eines Einzelnen oder gar zu einem Beziehungsabbruch führt.

Psychologische Sicherheit bedeutet ebenso nicht, dass die Anforderungen reduziert werden, dass die Arbeit gefällig wird und alle Mitarbeitenden sich ausruhen können. Wie könnte auch so ein Wettbewerbsvorteil eintreten? Psychologische Sicherheit schafft hingegen beste Voraussetzungen, dass Mitarbeitende bei hohen Leistungsanforderungen qualitativ hochwertige Leistungen erbringen können.  

Und psychologische Sicherheit lässt sich nicht einfach durch den Begriff Vertrauen austauschen, auch wenn es zwischen beiden Dimensionen bedeutsame Zusammenhänge gibt. Vertrauen basiert auf der Wahrnehmung eines Einzelnen und bezieht sich vor allem auf den interpersonalen Bereich, anders gesagt auf ein konkretes Gegenüber. Zwar bildet Vertrauen häufig die Voraussetzung für das Entstehen von psychologischer Sicherheit und dennoch ist es nicht das Gleiche. Psychologische Sicherheit geht über zwischenmenschliches Vertrauen hinaus, sie bezieht sich auf eine gemeinschaftliche Beschreibung der Arbeitsatmosphäre.  

Wodurch zeichnet sich eine psychologisch sichere Arbeitsumgebung aus

Vor bereits 60 Jahren hat Edgar H. Schein (1996) den Ausdruck Psychologische Sicherheit in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt. Unter Bezugnahme auf das Dreiphasenmodell der Veränderung (unfreezing – moving – freezing) von Kurt Lewin betrachtete Schein psychologische Sicherheit vor allem in der ersten Phase einer geplanten Veränderung als wirksam. Denn dort, wo gewohnte Abläufe, Handlungen und Deutungsmuster ihre Gültigkeit verlieren, werden Gefühle der Irritation, der Verunsicherung oder der Angst ausgelöst. Damit diese erste Phase des „Auftauens/Auflockerns“ passieren kann, muss ein ausreichendes Maß an psychologischer Sicherheit vorhanden sein.

Psychologische Sicherheit ist eine gemeinsame Überzeugung der Mitarbeitenden in Bezug auf das Arbeitsklima. Sie basiert auf der kollektiven Beurteilung des Arbeitsumfelds, also nicht nur innerhalb einer 1:1-Beziehung. Aus einer solchen, von verschiedenen Menschen geteilten Bewertung entsteht der Effekt, der mit dem Begriff „konstruktives Teamklima“ gefasst werden kann. In der Praxis bedeutet das, dass sich alle Mitarbeitenden in der Lage fühlen, Risiken einzugehen, sich zu äußern und proaktiv zu handeln. Weiterhin bedeutet das, dass die zwischenmenschliche Atmosphäre von Unterstützung und nicht von Misstrauen geprägt ist. „Psychological safety is a sense of confidence that the team will not embarrass, reject, or punish someone for speaking up.“ (Edmondson 1999, 354) Psychologische Sicherheit besteht dann, wenn alle Mitarbeitenden eines Teams (einer Organisation) das Gefühl haben, neue Ideen und Problemlösungen in einem nicht wertenden Klima vorschlagen zu können.

Beurteilen Sie den Grad an psychologischer Sicherheit in ihrem Team

Nehmen Sie sich drei Minuten Zeit und betrachten sie das Verhalten ihres momentanen Teams, das sie leiten oder in dem sie mitarbeiten. Angelehnt an den von Amy C. Edmondson erstellten Fragebogen für das Teamklima, sollten Sie folgende sieben Dimensionen bewerten:

  • Umgang mit Fehlern, 
  • Offene Kommunikation, 
  • Akzeptanz von unterschiedlichen Meinungen, 
  • Einstellung zu Risiko, 
  • Hilfsbereitschaft und Teamfähigkeit, 
  • Anerkennung von Leistungen anderer, 
  • Wertschätzung im Team. 

Welchen Eindruck haben Sie nun von Ihrem Team? Und wie betrachten Sie sich selbst hinsichtlich der sieben Dimensionen? Diese knappe Beurteilung ist ein guter Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der psychologischen Sicherheit.

Was können Sie tun, um die psychologische Sicherheit in ihrem Team zu erhöhen

Ohne Frage sind alle Mitarbeitenden angehalten, etwas für die psychologische Sicherheit im Team zu investieren und gewinnbringende Formen der Zusammenarbeit umzusetzen, z.B. nicht übereinander, sondern miteinander zu reden. Wir empfehlen zudem den Fokus auf das Führungshandeln zu legen und fördernde Bausteine der Entwicklung einer psychologisch sicheren Arbeitsumgebung zu benennen, denn die direkte Führungskraft hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz so sicher fühlen, dass sie Neues ausprobieren, vorläufige Ideen äußern oder andere um Hilfe bitten.  

1. Baustein: Führungskräfte sind Vorbilder

Als Führungskraft sind Sie Vorbild. Teilen Sie sich mit und gehen Sie voran, was Offenheit betrifft. Machen Sie einen ersten Schritt und gehen Sie selbst interpersonelle Risiken ein. Teilen Sie auch mit, wenn Ihnen etwas nicht so gut gelungen ist, wo Sie vielleicht einen Fehler gemacht haben oder wo Sie sich mal in die Irre verrannt haben. Entschuldigen Sie sich, wenn Sie unrecht hatten oder stellen Sie klar, wenn Sie falsch lagen. Irren ist menschlich.  

Unterscheiden Sie zwischen vorhersehbaren, vermeidbaren und intelligenten Fehlern. Die ersten beiden Fehlertypen sollten tatsächlich nicht entstehen, wenn Können und Erfahrung an sich vorhanden sind. Die Antwort hierauf lautet Standardisierung und Training. Intelligente Fehler hingegen, also Fehler, die in neuen Situationen entstehen, sind sogar erstrebenswert, da dadurch neues Wissen generiert wird. Fördern Sie diese Art Fehler und analysieren und reflektieren Sie diese mit ihrem Team.

Nutzen Sie Team-Reflexionsmeetings, um die Bedeutung der wechselseitigen Abhängigkeit hinsichtlich der anstehenden Herausforderungen zu betonen. Laden Sie Ihre Mitarbeitenden auf ehrliche Weise zur Mitwirkung ein und geben Sie die Richtung vor. Situationsbezogene Demut verdeutlicht, dass Sie als Führungskraft nicht alles wissen und nicht für alles eine Lösung haben. Sammeln Sie mit Ihrem heterogen zusammengesetzten Team Informationen zu der Fragestellung, stellen Sie proaktiv Fragen, interpretieren Sie Ihre Erkenntnisse und suchen Sie gemeinsam nach Lösungen.

Sprechen Sie auch auf Führungsebene über Ihre Haltung und die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit untereinander zu fördern. Wenn die Unternehmenskultur entsprechende Werte wie Selbstbestimmung, Partizipation, Vertrauen, Kreativität nicht unterstützt, können Sie als einzelne Führungskraft auch nur bedingt entgegensteuern.

2. Baustein: Kontakt vor Kooperation

Schaffen Sie Situationen, Zeiten und Räume, in denen sich nicht nur die Mitarbeitenden in ihrer Funktion, sondern die Menschen begegnen können, um miteinander in Kontakt zu treten. Ein Offsite-Meeting oder eine mit Themen versehene Wanderung ist eher kontaktstiftend und förderlich für ein konstruktives Teamklima als ein Betriebsausflug.

Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Mitarbeitenden, lernen Sie sie intensiver kennen und zeigen Sie echtes Interesse an dem, was andere bewegt. Die Wertschätzung des Gesagten fördert eine Kultur des Vertrauens im Team und in der Organisation. Seien Sie demütig und fangen Sie an, Ihr Wissen zu teilen, kommunizieren Sie mit Ihren Mitarbeitenden auf Augenhöhe und fragen Sie nach deren Auffassung und Expertise zu dem Thema. Selbstöffnung und Interesse am anderen sind sehr erfolgreiche Wege, Menschen kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen.

3. Baustein: Gelebte Feedback-Kultur

Eine jährliche Befragung der Mitarbeitenden als Führungsfeedback ist ein guter Beitrag zu einer Feedback-Kultur. Effizienter wird sie, wenn Feedback niedrigschwellig, in alle Richtungen und hochfrequent stattfindet. Schaffen Sie eine gelebte Feedback-Kultur, z.B. im Anschluss an die Teammeetings: Habe ich in meiner Darstellung etwas oder jemanden übersehen? Sind alle beteiligt worden? Arbeiten wir so gut zusammen? Dann benötigen Sie nicht noch weitere anonymisierte Fragebögen auf Teamebene, um deren Effizienz zu erfassen.

 

Quellen

Duhigg, C. (2016). What Google learned from its quest to build the perfect team. https:// www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build- the-perfect-team.html?smid=pl-share&_r=1. Stand: 18. Feb. 2022

Edmondson, A.C. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44, 350–383.

Edmondson, A.C. (2020). Die angstfreie Organisation. Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. München: Vahlen.

Schein, E. H. (1996). Kurt Lewin’s change theory in the field and in the classroom: Notes towards a model of managed learning. Systems Practice, 9(1), 27-47.  

 

Text: Martin Lindner