Entscheidungskultur: ein wesentlicher Faktor beim Übergang zu Agilität und Selbstorganisation
Die Implementierung agiler Arbeitsformen erfordert unter anderem auch einen Wandel der Entscheidungskultur. Denn was ist zunächst zu erwarten von Teams, die sich unvorbereitet mit einem Zuwachs an Entscheidungskompetenz konfrontiert sehen?
Erste Falle: Die Suche nach dem Konsens
Zu Beginn der Arbeit in agilen Teams entsteht der Wunsch, Entscheidungen möglichst im Konsens zu treffen. Alle sollen sich einig sein. Alle sollen einer Entscheidung bedingungslos zustimmen. Agile Teams fallen häufig in die klassische Konsensfalle. Lösungen im Konsens lassen sich aber nur selten finden. Die Suche nach dem Konsens ist zäh und belastend für die Beteiligten. Fast immer führt sie zu einer enormen Verlangsamung der Prozesse, Störungen sind vorprogrammiert.
Zweite Falle: Der Mehrheitsentscheid
Spätestens wenn die mühsame Suche nach dem Konsens scheitert, greifen agile oder selbstorganisierte Teams und auch Führungsteams nach der Methode, die uns allen schon seit der Kindheit antrainiert wurde: dem klassischen Mehrheitsentscheid. Ob Zuhause bei der Frage, welchen Film wir schauen oder in der Schule, bei der Frage, wer Klassensprecher wird. Auch in Konzernen und in der Politik hört man kaum von anderen Entscheidungsverfahren. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Mehrheitsentscheide die beste und schnellste Methode ist, um eine gute Entscheidung herbeizuführen. Dabei ist der Mehrheitsentscheid die Methode, welche die meisten Verlierer hervorbringt. Viele Perspektiven und Ideen bleiben bei diesem Vorgehen ungehört. So kann sich, wenn zehn Personen über drei Vorschläge entscheiden, der Vorschlag mit vier Stimmen durchsetzen. Die Mehrheit der Abstimmenden – hier also sechs Personen – können sich als Verlierer fühlen. Das daraus resultierende Konfliktpotential bleibt aber unbekannt. Typische Reaktionen können Lagerbildung, Polarisierungen, Sabotagen sein. Oft wird an der getroffenen Lösung nicht mit Motivation gearbeitet. Tritt der gewünschte Erfolg nicht ein, fühlen sich diejenigen, die gegen die Entscheidung gestimmt haben, bestätigt: „Wir haben es ja gleich gesagt“!
Ziel des Mehrheitsprinzips ist es, den anderen zu überstimmen. Es wird ein Gegeneinander erzeugt. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!“ Vielschichtigkeit und Kreativität gilt es zu bekämpfen statt zu nutzen.
Bei allem guten Willen wirken diese Prinzipien des Mehrheitsentscheides auch in agilen Teams. Die Folgen können nur durch einen Mehraufwand an Kontrolle eingedämmt werden, was wiederum der Entwicklung einer agilen Kultur diametral entgegensteht.
Das wirft die Frage auf: ‚Was brauchen Mitarbeiter*innen in agilen Teams, damit sie die erweiterte Verantwortung aktiv annehmen und tragfähige Entscheidungen in der Gruppe auch produktiv treffen können? Was brauchen aber auch Führungskräfte, um gemeinsam zu Entscheidungen mit höherer Akzeptanz und damit mehr Nachhaltigkeit zu kommen?‘