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Wenn das Büro leer bleibt … Hybrides Arbeiten und organisationale Bindung

Wenn das Büro leer bleibt … Hybrides Arbeiten und organisationale Bindung

15. Januar 2024 | von Martin Lindner

Wenn ein bedeutender Teil der Mitarbeitenden ortsungebunden, d.h. von zuhause, vom weiter entfernten Zweitwohnsitz oder von unterwegs arbeitet, dann stellt das alle Beteiligten vor zusätzliche Herausforderungen: Hybrides Arbeiten zeigt Wirkung auf das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie die Leistungsfähigkeit und hat damit auch Folgen für die Innovationsfähigkeit und die Unternehmenskultur.

Gleichzeitig ist das hybride Arbeitsmodell nicht mehr aus der Realität wegzudenken, auch wenn es noch keineswegs ein schlüssiges und nachhaltig gestaltetes Arbeitskonzept darstellt. Ob sich die Idee als ein tragfähiges Konzept entwickeln kann, hängt sicherlich auch davon ab, inwiefern Unternehmen in der Lage sind, den derzeitigen Change zu einer hybriden Arbeitswelt zu bewältigen.

Bereits im vergangenen Sommer hat die Debatte in Technologiekonzernen die Unterschiedlichkeit an Reaktionen auf hybrides Arbeiten deutlich gemacht: Elon Musk (Tesla) forderte, das alle Mitarbeitenden (mind.) 40h/Woche im Büro präsent sein müssen. Auf der anderen Seite räumte der damalige CEO von Twitter Parag Agrawal seinen Beschäftigten die volle Wahlfreiheit in Bezug auf ihren Arbeitsort ein.

Nach dem Ende der pandemiebedingten Homeoffice-Pflicht hätten theoretisch alle Unternehmen und Organisationen ihre Mitarbeitenden wieder zurück ins Büro bestellen können. Allerdings wurden im Verlauf der Pandemie teilweise Vereinbarungen erstellt, die Arbeitnehmenden eine flexible Arbeitsgestaltung ermöglichen, sofern es die Arbeitsaufgaben erlauben.

FACHKRÄFTEMANGEL UND WETTBEWERB MIT FAMILIENSYSTEMEN

In vielen Organisationen haben Mitarbeitende die durch die Corona-Pandemie entstandenen neuen Möglichkeiten zum ortsungebundenen Arbeiten für sich genutzt und sind nun weniger bereit, regelmäßig oder überhaupt, physisch ins Büro zurückzukehren. Das Mehr an Lebenszeit und Lebensqualität durch reduzierte Arbeitswege und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben zu einer Aufwertung des Familiensystems geführt. Wenn nun Unternehmen ihre Mitarbeitenden wieder ins Büro zurückbestellen, treten zwei soziale Systeme in einen Wettbewerb, wobei Familiensysteme in aller Regel die stärkeren Bindungskräfte entfalten können. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels sind Unternehmen und Organisationen darauf angewiesen, diesen ungleichen Wettbewerb mit Zugeständnissen auszugleichen.

Folglich werden sich Unternehmen aus Rücksicht auf ihre Beschäftigten gut überlegen, die Anwesenheit einzufordern oder verbindlich zu regeln. Welche Konsequenzen können sich daraus ergeben?

TEAMZUSAMMENHALT UND ORGANISATIONALES COMMITMENT

Wer remote arbeitet, ist stärker auf eine formale Kommunikation reduziert und bekommt weniger vom Flurfunk und sozialen Interaktionen, aber auch von vielen fachlich benachbarten Kontexten mit. Körperliche Präsenz und Nähe stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und stärken in aller Regel die organisationale Bindung. Umgekehrt bekommen remote Arbeitende hin und wieder mit, dass im Büro soziale Interaktionen stattfanden, bei denen sie ausgeschlossen waren. Der zunehmende virtuelle Austausch an Informationen kann zu einer Vernachlässigung der Beziehungsebene führen, was den Aufbau von Vertrauen erschwert und Konflikte schwerer erkennbar macht. Folglich entsteht leicht eine angespannte Atmosphäre und die Konflikte eskalieren.

Bei einer zu hohen individuellen Flexibilität für hybrides Arbeiten, können die Vorteile des Arbeitens im Büro gar nicht mehr erfahren werden, weil u.U. alle an einem anderen Tag im Büro sind und sich daher informelle Begegnungen und nicht geplante Austauschmöglichkeiten kaum ergeben. Der Aufwand, extra ins Büro zu fahren, erscheint somit sinnlos.

KOMPLEXE AUFGABEN ERFORDERN STÄRKERE PRÄSENZ DER MITARBEITENDEN

Aufgrund von höherer Konzentration und geringeren Ablenkungen und Störungen im Homeoffice, wird häufig eine höhere Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Anforderungen abgeleitet. Allerdings bedarf es in dieser Hinsicht einer stärkeren Differenzierung. Mitarbeitende in Teams, die die anfallenden Tätigkeiten u.a. nach zeitlichen Ressourcen und nach fachlichen Kompetenzen aufteilen, benötigen weniger Abstimmung in Bezug auf die laufenden Arbeitsprozesse. Sie können sicherlich den Vorteil der besseren Konzentrationsleistung und der Flexibilität in eine höhere Leistungsfähigkeit umsetzen.

Steigen die Aufgaben in ihrer Komplexität, zu deren Bewältigung Teammitarbeitende tatsächlich zusammenarbeiten müssen, ist ein hoher Grad an virtueller Zusammenarbeit im Team eher nachteilig für die Effektivität. Ein gemeinsam geteiltes Verständnis der Aufgabe, die fortwährende Abstimmung von Teilergebnissen und die Reflektion des Teamprozesses sind erschwert oder zumindest verlangsamt und schränken die erhöhte Leistungsfähigkeit ein.

FÜNF PERSPEKTIVEN FÜR EIN HYBRIDES ARBEITSMODELL

Das ortsungebundene Arbeiten ist seit der Pandemie nicht mehr aus der Arbeitswelt wegzudenken. Und gleichzeitig muss es gestaltet werden, damit die negativen Entwicklungen wie Abnahme des Zusammengehörigkeitsgefühls, der organisationalen Bindung, des Vertrauens sowie Erhöhung des Konfliktpotentials nicht zu virulent werden. Was können Sie tun?

  1. Die Sensibilisierung für das Thema hybrides Arbeiten sollte gestärkt werden. Es ist offenzulegen und anzuerkennen, dass es prinzipielle Unterschiede zwischen den Mitarbeitenden gibt und dass dies eine Wirkung haben wird. Wichtig ist, dass die Unterschiedlichkeit und deren Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung, die Qualität der Zusammenarbeit und dem Unternehmensziel im Austausch mit allen immer wieder reflektiert wird.
  2. Führungskräfte sind bei der Gestaltung hybrider Arbeitsmodelle in besonderer Weise gefordert. Sie müssen die Arbeitsbeziehungen auf Team- und Abteilungsebene aktiv gestalten: z.B. informelle Austauschmöglichkeiten schaffen, Präsenztage explizit zur Kontaktpflege nutzen und Partizipation virtuell organisieren und mit geeigneten Moderationsmethoden unterstützen.
  3. Es kommt auf die richtige Balance aus Remote und Präsenz an. Personaler und Führungskräfte sind gefordert: Die Herausforderungen von dynamischen Umwelten und dynamischen Situationen werden keine Patentrezepte oder best-practice-Modelle Fallorientiert und im Sinne agiler Vorgehensweisen müssen hingegen Veränderungen in der Praxis getestet und anhand des Feedbacks aus der Praxis weiterentwickelt werden. Teams mit hoher Interdependenz in der Aufgabenbewältigung benötigen sicherlich mehr face-to-face-Kontakt als Teams mit einer stärkeren additiven Aufgabenteilung.
  4. Das Onboarding von Mitarbeitenden im virtuellen Raum stellt eine weitere Herausforderung dar. Es bedarf einer gelingenden Mischung aus direktem und wechselndem Kontakt, um die Unternehmenskultur wahrzunehmen und in sie hineinzuwachsen.
    Gleichzeitig sollte es regelmäßige Präsenztermine im Büro für alle Mitarbeitenden geben, um das Onboarding zu erleichtern und, um allen ausreichend informellen Raum und Zeit für die Beziehungsebene und den Kontakt untereinander zu ermöglichen.
  5. Die räumliche und technische Infrastruktur muss eine möglichst hohe Flexibilität zulassen, die sowohl eigene, feste Arbeitsplätze wie auch desk-sharing Den individuellen Arbeitsbedürfnissen und Arbeitsaufgaben entsprechend, bedarf es einer Landschaft, die sowohl konzentriertes individuelles Arbeiten wie auch Kollaborationen, Austausch und informelle Begegnung ermöglichen.