In der Distanz wird Nähe wichtiger

»Die Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen«

Dieses vielgenutzte Zitat von Max Frisch wirkt an- gesichts der aktuellen weltweiten medizinischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen nahezu zynisch. Und dennoch: viele Organisationen und Unter- nehmen erwachen aus der Schockstarre, zeigen durch schnelle, unbürokratische Reaktionsweisen Handlungsfähigkeit.

Ein Beispiel ist die Umstellung auf Remote-Arbeiten: wo früher oft monatelange Prozesse, endlose Verhandlungen mit Personal- oder Betriebsräten und interne Diskussionen in Teams und Abteilungen die Umstellungen lähmten, haben inner- halb weniger Tage ganze Unternehmen aus der Not eine Tugend gemacht und auf Home-Office umgestellt – bei dem Gebot der Kontaktreduktion die einzige Möglichkeit, arbeitsfähig zu bleiben! Doch Achtung: bei der Bewältigung der technischen und logistischen Herausforderungen und vor allem auch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Fragestellungen besteht die Gefahr, dass die ein- zelne Mitarbeiterin/der einzelne Mitarbeiter aus dem Fokus gerät. Denn nicht jede(r) findet zu Hause die optimalen Möglichkeiten für seinen/ihren Arbeitsplatz und vor allem: nicht jede(r) findet das Homeoffice attraktiv und produktiv!

Herausforderung – Bedrohung – Gefahr

Zunächst einmal: Menschen reagieren auf drastische Veränderungen unterschiedlich:
Die einen sehen eher die Chancen und nehmen die Veränderung als Herausforderungen an. Die anderen sehen eher die Risiken, für sie sind die Veränderungen eher eine Bedrohung. Und eine dritte Gruppe (es ist anzunehmen, dass in der aktuellen Situation diese Gruppe eher in der Minderheit sein wird) steht Veränderungen eher gleichgültig gegenüber »es wird schon vorbei gehen!«

Die Gruppe derer, die die Umstellung auf Remote-Arbeiten eher als Bedrohung sehen, dürfte nicht allzu klein sein.

Denn neben dem allgemeinen Gefühl der Bedrohung durch das Virus, das schon individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, sind aktuell sicher viele Fragen (noch) nicht beantwortet:

  • Wie erhalte ich die für meine Aufgaben wichtigen Informationen von meinen Kolleg*innen?
  • Bekomme ich Unterstützung, wenn ich nicht weiterkomme?
  • Schaffe ich es, meinen Arbeitstag sinnvoll und produktiv zu strukturieren?
  • Wie gehe ich mit den Ablenkungen durch Kinder und oder Partner*in um?

Neben den aufgabenbezogenen Fragestellungen gibt es Fragen sozialer Art, die sich für die beteiligten Individuen ganz unterschiedlich stellen. Zur Identifizierung hilft Führungskräften ein kleiner Ausflug in die Psychologie:

Das Riemann-Thomann-Modell beschreibt die verschiedenen Grundstrebungen und Grundbedürfnisse von Menschen anhand eines Koordinatenkreuzes auf den Achsen »Nähe« und »Distanz« und »Dauer« und »Wechsel«.

Vor dem Hintergrund der objektiven Bedrohung, der diffusen Gefühlslagen und der verunsichernden Zukunft kommen auf Führungskräfte ganz besondere Herausforderungen zu. Hier ein paar Tipps wie Sie in der aktuellen Situation zumindest für Ihre Mitarbeiter*innen halbwegs angemessen reagieren können:

  • Wenn Sie operative Aufgaben haben, reduzieren Sie diese auf das Mindestmaß und nutzen Sie dieZeit für Kommunikation.
  • Halten Sie ständig Kontakt per Telefon oder Videokonferenz.

Die aktuellen gesellschaftlichen Restriktionen und auch die Etablierung der Heimarbeitsplätze hat Ver- änderungen auf allen Ebenen der menschlichen Be- dürfnisse zur Folge. Da es sich aber um räumliche Dimensionen handelt, sind vor allem die Bedürfnisse auf der Raumachse »Nähe – Distanz« tangiert: während die Wünsche nach mehr Distanz, Individualität und Selbststeuerung quasi per Dekret erfüllt werden, kann es bei Menschen mit einer ausgeprägteren Nähe-Orientierung zu einem Defizit-Erleben kommen.

Alltägliche, selbstverständliche und häufig unbewusste soziale Interaktionen werden jetzt schmerzlich vermisst: der kurze Schnack am Kaffeeautomaten, das Gespräch über die Urlaubs- oder Wochenenderlebnisse, das gemeinsame Stöhnen über die Arbeitsbelastung, die Beschwerde über die unverständlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung, die Auswertung der Bundeligaspiele, das Chaos in der Nachbarabteilung usw.

  • Vor allem: lernen Sie zuzuhören! Halten Sie sich zurück mit Ratschlägen wenn sie nicht explizit gewünscht sind!
  • Vermeiden Sie »empathische Kurzschlüsse«: Beschwichtigungen, Verweise auf die eigene Rationalität oder die eigene Betroffenheit sind fehl am Platz, wenn es um den anderen geht!
  • Es gibt unterschiedliche Verführungen im Homeoffice: manche arbeiten zu viel, manche lassen sich vom Sofa, vom Fernseher verlocken. Nehmen Sie die Unterschiede wahr und reagieren Sie entsprechend.
  • Unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden dabei, den Arbeitstag zu strukturieren: Tagesziele, Arbeitszeiten, Pausen, etc.
  • Führen Sie eine digitale Frühstückspause ein.
  • Halten Sie mindestens einmal in der Woche Teammeetings per Video-Konferenz ab und geben Sie dabei auch Raum zur Äußerung persönlicher Befindlichkeiten.
  • Halten Sie Kleingruppen- und Projektstrukturen aufrecht und stellen Sie die notwendigen Kommunikationsmittel zur Verfügung.

Zu guter Letzt: sorgen Sie für sich!

Auch Sie haben Sorgen und brauchen Austausch!
Etablieren Sie kollegiale Netzwerke in denen Ihre und die Bedürfnisse Ihrer Kolleg*innen erfüllt werden – und bleiben Sie zuversichtlich!

Das Team der ALEA GmbH befindet sich aktuell schon seit Mitte März in zum Teil selbstgewählter Quarantäne. Wir sind seitdem regelmäßig über Zoom im Kon-

takt und agieren wie oben aufgeführt. So sind wir weiter arbeitsfähig und produktiv, und Gefühle von Kontaktarmut oder gar Einsamkeit treten nicht auf.

Text: Jürgen Vieth

Foto: iStock

Haben sie Lust auf weitere Artikel von uns? Schauen Sie auf unseren Blog!

Wollen Sie regelmäßig unseren Newsletter erhalten? Klicken Sie hier und melden Sie sich an!